hide random home http://hamburg.bda.de:800/bda/int/spiegel/artikel/sp36110.html (Einblicke ins Internet, 10/1995)

Videospiele

Wilde Jagden

Der japanische Elektronikkonzern Sony drängt in das lukrative Geschäft mit Videospielen. Der Milliarden-Markt ist heiß umkämpft.

David Reeves, 48, hat noch Mühe mit der ungewohnten Fingerakrobatik. Mehr als eine Minute braucht der Sony-Manager, wenn er mit den winzigen Steuertasten seines Joypads den schwarzen Lamborghini über den imaginären Rundkurs auf dem Bildschirm seines Fernsehers lenkt. Immer wieder schrammt er an der Leitplanke entlang.

Den Vater von zwei gerade erwachsenen Töchtern hat aber der Ehrgeiz gepackt. "Ridge Racer", eine irrwitzig schnelle Videospielversion des Spielhöllen-Klassikers, "ist echt geil", imitiert er mit englischem Akzent den Slang der Game-Boy-Generation.

In den nächsten Wochen hofft Reeves, seine Bestzeit halbieren zu können. Dann will der Geschäftsführer der neugegründeten Sony Computer Entertainment in Frankfurt gegen seinen Marketing-Manager Ron Lakos antreten.

Das Fieber, das Reeves und seine Mitarbeiter erfaßt hat, soll schon bald auch Millionen von Kids in Deutschland und anderswo in Europa infizieren: Am 29. September beginnen Reeves und Lakos mit dem Verkauf der PlayStation, der ersten Videospielkonsole, die je vom japanischen Elektronikkonzern Sony hergestellt wurde.

Die Erwartungen der Sony-Manager sind enorm hoch. Mehr als 80 Millionen Mark fließen in die Marketingkampagne für die "größte Produkteinführung seit dem Walkman" vor 16 Jahren.

Fast zwei Dutzend Jumbos sind unterwegs, um die High-Tech-Fracht pünktlich zum Verkaufsstart von Japan nach Europa zu bringen. Allein in Deutschland sollen in den ersten sechs Monaten rund 200 000 Exemplare zum Preis von knapp 600 Mark verkauft werden. Mit 800 Werbespots auf fast allen TV-Kanälen will Reeves dafür sorgen, daß die PlayStation rechtzeitig vor Weihnachten auf den Wunschzetteln der Kids ganz oben steht.

Um die jugendliche Zielgruppe zu erreichen, will sich Sony nicht allein auf die Rundfunk- und Fernsehhändler, die traditionellen Vertriebswege des Konzerns, verlassen. Auch in den Spielwarengeschäften und den Kinderabteilungen der Kaufhäuser soll die PlayStation verkauft werden.

Die ersten Verhandlungen mit den neuen Geschäftspartnern stimmen die Sony-Manager ebenfalls zuversichtlich. "Bei Karstadt in Mühlheim, wo wir eine Vorführstation aufgebaut haben, gingen innerhalb von drei Stunden 400 Vorbestellungen ein", freut sich Reeves.

Auch bei der Präsentation auf der Funkausstellung in Berlin waren die PlayStations ständig von Jugendlichen belagert. Sony-Chef Nobuyuki Idei glaubt deshalb fest an den Erfolg. Der neue Spitzenmann, der anders als seine Vorgänger kein Ingenieursdiplom vorweisen kann, gilt als Marketingexperte, ist im Konzern aber noch umstritten. Mit einem erfolgreichen Start der PlayStation könnte er alle internen Kritiker verstummen lassen.

Geschicktes Marketing wird nötig sein; die Zeiten, in denen neue Sony-Produkte fast automatisch zu einem Bestseller wurden, sind längst vorbei. Ob DAT-Recorder oder das elektronische Lexikon Data Discman, der superscharfe HDTV-Fernseher oder die Mini Disc - keine der Neuheiten der letzten Jahre brachte dem erfolgsgewohnten Konzern bislang die ursprünglich erhofften Einnahmen.

Auch die PlayStation ist kein Selbstgänger. Zwar konnte Sony in Japan seit dem Start im vergangenen Dezember gut eine Million Geräte verkaufen und damit einen wichtigen Achtungserfolg erzielen. Doch mit dem Spielcomputer, dessen Entwicklung schätzungsweise 500 Millionen Dollar verschlungen hat, wagt sich Idei auf einen hartumkämpften und für Sony neuen Markt.

Rund sechs Milliarden Mark geben die Kids für Videospiele aus. Die japanischen Firmen Nintendo und Sega haben den Markt weltweit fest im Griff, sie werden dem Newcomer erbitterten Widerstand leisten. "Ich bezweifele, daß Sony Erfolg hat", gibt sich Sega-Chef Hayao Nakayama siegessicher.

Der Neuling läßt sich von solchen Sprüchen nicht einschüchtern. "Das Game-Geschäft verläuft in Sprüngen", weiß Sonys Marketing-Manager Lakos, der sein Handwerk beim Konkurrenten Nintendo gelernt hat. "Bei jeder neuen Technik-Generation werden die Uhren neu gestellt."

Wie in der Computerbranche ändert sich auch bei den Videogames die Technik rasend schnell. Immer leistungsstärkere Chips lassen die Spielkonsolen der vorherigen Generation ziemlich alt aussehen.

In diesem Jahr wird es wieder einen Modellwechsel geben. Vor sechs Jahren begann mit Nintendos 8-Bit-Maschinen in der Art des Game Boy der Spielboom, Konkurrent Sega begründete seinen Erfolg mit 16-Bit-Konsolen.

Nun ist die 32-Bit-Technik fällig. Die neuen Entertainment-Kisten sind vollgestopft mit hochwertiger Technik, die selbst in teuren Grafikcomputern nicht zur Standardausstattung gehört. Sie macht die Spiele auf dem heimischen Fernseher so komplex und die Bildschirmdarstellung so realitätsnah, wie es bisher nur mit Großgeräten in den Spielhallen möglich war.

Die neue Technik hat Sony aber nicht allein. Sega kontert mit der 700 Mark teuren Spielkonsole Saturn, und der Elektronikgigant Matsushita, dessen 32-Bit-Maschine 3DO in Japan und Amerika seit über zwei Jahren mit überaus mäßigem Erfolg im Handel ist, will seinen Player endlich auch in Europa ins Spiel bringen.

Wie hart das Geschäft ist, zeigt das Beispiel USA. Ursprünglich wollten Sega und Sony dort ihre neuen Spielkisten zeitgleich und zu etwa dem gleichen Preis in die Läden bringen. Doch dann preschte Sega vor und begann drei Monate früher mit dem Verkauf. Sony konnte nicht so schnell mithalten und reduzierte deshalb noch vor der Markteinführung seinen Verkaufspreis um 25 Prozent.

Nur Nintendo hielt sich bei den härter werdenden Auseinandersetzungen noch zurück, denn der Videospielpionier verpaßte den Generationswechsel. Um nicht aus dem Rennen zu fliegen, überspringt der Branchenprimus die 32-Bit-Technik und geht sofort zur 64-Bit-Maschine über.

Der gemeinsam mit der amerikanischen Computerfirma Silicon Graphics entwickelte Player Ultra 64 kommt jedoch erst im April kommenden Jahres in die Geschäfte. Bis dahin hat Sony das günstigste Angebot.

Anders als die Konkurrenten, die ihre neuen Programme auf einer CD speichern, bleibt Nintendo bei den herkömmlichen Steckmodulen, den sogenannten Cartridges. Die sind zwar teurer in der Herstellung als die Silberscheiben, aber die Geräte funktionieren ohne aufwendige CD-Laufwerke. Die eigentlichen Konsolen sind deshalb weitaus billiger. Nintendo will seinen Ultra 64 zum Kampfpreis von unter 400 Mark verkaufen.

Auch bei der Software kann Sony nicht mehr vorweisen als die Konkurrenz. Bis Weihnachten sollen insgesamt 64 Spiele für die PlayStation im Handel sein. Mit einem Preis von 100 bis 120 Mark sind die Scheiben allerdings nicht gerade billig.

Neue Ideen sind nicht zu erwarten. Wilde Verfolgungsjagden wie beim "Destruction Derby" ("Spektakuläre Chrashs bringen Punkte") sowie Baller- und Kampfspiele wie "Mortal Kombat" oder "Battle Arena Toshinden" bringen Altbekanntes in neuer Aufmachung.

Eine sympathische Identifikationsfigur für die Joypad-Artisten wie Nintendos Klempner "Super Mario" oder Segas Igel "Sonic" hat Sony bislang nicht. "Die Kleinen, die solche Comicfiguren süß finden, sind gar nicht unsere Zielgruppe", erklärt Sonys Marketingchef Lakos.

Kenner der Szene glauben, daß die Zeit der teuren Spielkonsolen ohnehin vorbei ist. Seit dem Höhepunkt im Weihnachtsgeschäft 1993 sind die Umsätze der Branche deutlich gesunken. Für das laufende Jahr rechnen Experten sogar mit einem Umsatzrückgang um bis zu 40 Prozent.

Immerhin stehen Spielkonsolen schon in jedem dritten Haushalt. Und die meisten, so die Erfahrung der Marktforscher, bleiben bei einem System und stellen kein weiteres Gerät daneben, wenn eine neue Technik kommt.

Der Sieger könnte am Ende der PC sein. Er gehört in immer mehr Haushalten zur Standardausstattung, und das Angebot an Spielen auf der CD-Rom wächst rasend schnell.

In den USA werden bereits mehr Personalcomputer an Privatleute verkauft als an Firmen, und die Deutschen holen mächtig auf. "Der Renner im Weihnachtsgeschäft", glaubt deshalb Jens Bodenkamp von der Chipfirma Intel, "wird nicht die Spielkonsole, sondern der Multimedia-PC sein."

DER SPIEGEL 36/1995 - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags

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