hide random home http://hamburg.bda.de:800/bda/int/spiegel/artikel/sp36198.html (Einblicke ins Internet, 10/1995)

Medien

Einer wird gewinnen

Erbittert geführte Kriege um Formate und Systeme begleiteten letzte Woche die Funkausstellung in Berlin.

Die Rede war schon geschrieben, das Ticket nach Berlin gebucht. Auf der Funkausstellung IFA wollte der neue Sony-Chef Nobuyuki Idei seinen Europa-Einstand geben. Doch einen Tag vor dem geplanten Termin sagte Idei ab.

Der Nachfolger des legendären Firmengründers Akio Morita wurde zu Hause gebraucht - als Wortführer in Friedensgesprächen zwischen zwei Allianzen der Konsumelektronik, die sich seit letztem Jahr auf Konfrontationskurs befinden: In letzter Minute soll in den Verhandlungen, die zeitgleich mit der Berliner Rundfunkmesse in Tokio begannen, ein Krieg der Systeme verhindert werden - vergleichbar der Marktschlacht zwischen den Videorecorderformaten VHS und Beta vor einigen Jahren.

Es geht dabei um eine neue Generation von digitalen Datenspeicherplatten großer Kapazitäten als Trägermedium für Spielfilme, komplexe Videospiele und die immer umfangreicher werdenden Computerprogramme.

"Die Film- und Musikproduzenten warten ebenso wie die Entwickler von Interaktiv-Multimedia auf das Vehikel für die Reise in die nächste Generation", umreißt Sony-Direktor Teruaki Aoki die Situation. Gebraucht werden optische Speicher, die 10- bis 20mal so viele Daten transportieren wie die herkömmlichen Silberscheiben: etliche Gigabyte statt nur 650 Megabyte bei der CD.

Sowohl das Duo Sony/Philips als auch eine Gruppe um den Hardware-Entwickler Toshiba und den Medienkonzern Time Warner haben entsprechende Speicherplatten vorgestellt (SPIEGEL 21/1995). Beide Systeme sind, obwohl einander recht ähnlich, nicht miteinander kompatibel.

Sony/Philips, die Erfinder der bierdeckelgroßen Musik-CD, nennen ihr System "Multimedia-CD" (MMCD). Die Gegenpartei propagiert ihre Lösung unter dem Namen "Super Density Disc" (SD).

Beide Lager machen Vorteile geltend, beide warben noch während der IFA-Messe letzte Woche mit erhellenden Slogans wie "Die Zukunft der Zukunft hat begonnen" auf Tonnen von Papier für das jeweilige System und brachten Mitstreiter für einen kommenden Grabenkrieg in Stellung - unter anderem Grundig, Nokia, JVC, Acer, Bang & Olufsen auf seiten der MMCD sowie Matsushita, Thomson, Mitsubishi, Samsung, Pioneer und ein Dutzend weitere bei der "SD Alliance".

Dabei hatten im Hintergrund verschiedene Beratergruppen schon seit längerem vor einer Zersplitterung des Marktes gewarnt: Die Kontrahenten sollten sich schleunigst auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Bei der Suche nach dem Kompromiß, die am Wochenende in Tokio noch andauerte, schienen indes die technischen Fragen weniger Probleme aufzuwerfen als die psychologischen: Keiner darf am Ende als Sieger dastehen und keiner nach außen hin das Gesicht verlieren.

Sehr viel schwieriger als beim Kampf zwischen MMCD und SD scheint ein Friedensschluß bei der Auseinandersetzung um die sogenannten Set-Top-Boxen, die mehr oder minder handlichen Decoder für das kommende digitale Fernsehen. Exakt zum IFA-Termin schuf in diesem Zwist der TV-Mogul Leo Kirch neue Tatsachen.

Zur Schlachtreihe formiert hat sich auf der einen Seite das von der Telekom angeführte Konsortium MMBG (Multimedia-Betriebsgesellschaft) mit Bertelsmann, der luxemburgischen RTL-Mutter CLT sowie den Anstalten ARD, Canal Plus, RTL und ZDF. Dagegen steht das Münchner Fernsehkombinat des Leo Kirch mit seiner Tochterfirma Beta-Technik. Jede der beiden Gruppen verfügt über eine eigene Beistelldecoder-Technik.

Noch zwei Tage vor Messeeröffnung hatte Telekom-Chef Ron Sommer erklärt, er halte eine Einigung bei der Standardisierung der Beistellboxen für möglich. Doch einen Tag später trat Kirch mit Gewalt die Tür in die digitale Fernsehzukunft auf: Beta-Technik orderte bei der finnischen Nokia eine Million Stück der von Kirchs Leuten so genannten d-Box.

"Zwei Set-top-Boxen sind eine Katastrophe", beklagte Medienpolitiker Peter Glotz im Berliner VIP-Zelt von RTL die neue Lage. Tatsächlich vermag zur Zeit niemand zu sagen, ob der digitale Fernsehmensch demnächst vielleicht zwei Set-Tops auf seinen TV-Apparat stellen muß, wenn er bei allen Kanälen dabeisein will. Die Frage, ob Leo Kirch mit seinem Frontalangriff schon den Boxen-Krieg oder nur die Eröffnungsschlacht gewonnen hat, ist offen.

Ein weiterer elektronischer Krieg von extremer Härte deutet sich für die nächsten Monate bei den Online-Diensten an, wo neben den etablierten Diensten Btx/Datex-J und Compuserve gleich drei neue Systeme den deutschen Computer-Besitzer als Kunden anpeilen: AOL/Bertelsmann, Europe Online und Microsoft Network.

Bertelsmann, der Newcomer aus Gütersloh, verkündete auf der IFA kühn, er wolle mit einem eigenen Kommunikationsnetz, wie es bisher nur die Telekom besitzt, in den Kampf gehen. Der Markt ist heiß und verspricht dicke Pfründen. Telekom-Chef Sommer: "Die Weltgemeinschaft der Online-Nutzer vergrößert sich täglich um 10 000 neue Teilnehmer."

Die beste Ausgangsposition hat hier die Deutsche Telekom, die über die Jahre für ihren matten Btx-Dienst mehrere hunderttausend Kunden einsammeln konnte. Inzwischen hat die Telekom ihren Online-Dienst gewaltig renoviert, mit neuen Elementen nahezu auf internationales Niveau gebracht und ihm einen neuen Namen verpaßt: T-Online. Mit nahezu 850 000 Teilnehmern geht sie, kaum einholbar, in die kommende Schlacht.

Auch der amerikanische Compuserve-Dienst hat, obwohl weitgehend englischsprachig, mit 120 000 Teilnehmern einen ordentlichen Anteil am deutschen Markt erobert. Doch jetzt greift Bill Gates mit seiner Geheimwaffe an, dem direkten Zugang zum Microsoft-Netz aus der neuen Windows 95-Software.

Daneben bereiten sich gleich zwei deutsche Verlage auf den Start in die Online-Welt vor. Hubert Burda gründete mit Matra-Hachette und anderen den Info-Service Europa-Online und konnte eben den Springer Verlag als zehnprozentigen Mitstreiter gewinnen.

Ganz massiv geht Bertelsmann im Verbund mit America Online (AOL) ran. "Was CNN und MTV für die achtziger waren, soll AOL für die neunziger Jahre sein", tönte Konzernvorstand Thomas Middelhoff, als er vor sachkundigem IFA-Publikum den Namen des Bertelsmann-Dienstes bekanntgab: AOL/Bertelsmann Online.

Die Bertelsmänner fühlen sich gut gerüstet: "Durch unsere rund 30 Millionen Club-Mitglieder, unsere Erfahrung als weltweit agierendes Verlagshaus und die Inhalte, die Technologie und den Service von America Online besitzen wir eine starke Wettbewerbsposition." Der Gütersloher Business-Plan rechnet mit einer Million Abonnenten bis zum Jahr 2000. Bis dahin wird sich zeigen, ob tatsächlich auf dem deutschen Kommunikationsmarkt fünf Dienste und dazu noch das zwischen den Fronten prosperierende Internet leben können.

Wie schwer das Überleben in der harschen Welt der Konsumelektronik ist, muß gerade das von Philips mit großem Aplomb in die Welt gebrachte digitale Tonbandsystem DCC (Digital Compact Cassette) erleben.

Vor drei Jahren wurde DCC gleichzeitig mit Sonys digitaler Mini-Disc (MD) gestartet, und die journalistischen Auguren waren sich seinerzeit einig: Es stehe wohl ein Systemkrieg mit der "Schlacht um den digitalen Walkman" (Handelsblatt) bevor. Lange Zeit war kein Sieger zu erkennen, doch jetzt scheint der Kampf entschieden: Angesichts der mehr als schleppenden Verkäufe, so ist von Philips-Managern zu hören, werden Produktion und Entwicklung von DCC auf dem Stand von heute eingefroren.

Aus Japan kommt dazu die Kunde, daß die Firma Matsushita, mit der Marke "Panasonic" bisher stärkster Partner im DCC-Lager, demnächst die Fronten wechselt. Im September bringt Matsushita seinen ersten MiniDisc-Player auf den Markt.

DER SPIEGEL 36/1995 - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags

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