Rudolf Augstein zum Tode von Horst Janssen
Gesund" und "stehend" wollte er sterben, hat er in den Fragebogen der FAZ geschrieben. Das ging nun nicht. Er wäre der letzte gewesen, der sich darüber beklagt hätte. Wer nur noch Austern und Champagner zu sich nehmen konnte, wie die sehr alte Tania Blixen, mußte mit allem rechnen. Das tat er.
"Wann hat man das Vergnügen, ein Genie vorzustellen", jubelte die Zeit 1965 anläßlich der ersten Janssen-Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft in Hannover. Ein Genie blieb er, als Genie ist er gestorben, das einzige, das der Hansestadt Hamburg seit 1945 beschert worden war. Er ist "einer der größten Zeichner der Gegenwart", so Johannes Gross 1989 in der FAZ.
In seiner Bescheidenheit hätte Horst Janssen das wohl hingenommen. Ein anderes früheres Lob aber nicht, das ihn neben den Zeichner Picasso stellt. Schon vorher war seine ständige Redensart: "Picasso zählt nicht"; will sagen: Wer so hoch über allem steht, der ist einem Vergleich nicht mehr zugänglich. Mozart, man will es bei diesem Urvieh kaum glauben, war in Janssens Verständnis auch so einer.
Er hinterläßt ein so gewaltiges und bizarres, auch wortgewaltiges OEuvre, daß zwei Leben zu je 65 Jahren dazu kaum ausgereicht hätten. Aber er hat diese zwei Leben geführt. Mehr Sadist als Masochist, hat er den Bürgerschreck und den Schrecken vor dem Bürger Janssen nicht gespielt. Die Bürgerschreckhaftigkeit war ein Antrieb im Schaffen des Horst Janssen.
Über sich selbst hat er viel Unsinn geschwatzt, im Fernsehen war er fast unerträglich mit seiner protzenden Selbstgefälligkeit, die ebenso wahr wie unecht daherkam. Alles Gesellschaftliche, alles Soziale um ihn herum hielt er, exemplifiziert am Fall Käthe Kollwitz, für kunstfeindlich: Das ganze Gegenstück zu Günter Grass, dessen Oskar Matzerath er zeichnerisch vorweggenommen hat.
An die 50 erlauchte Namen und große Vorgänger (keine Vorgängerin) hat man aufgezählt, die ihn angeregt haben sollen. Das wird bei diesem Kunstgenie wohl stimmen; es ist ja nur Vincent van Gogh als Meister vom Himmel gefallen.
Er war autark, vermarktete sich selbst, Geld spielte dabei die geringste Rolle. Was hätte er damit anfangen sollen? Feinde hatte er nicht, nur Freunde und Ex-Freunde; die letzteren behandelte er besser als die ersteren. Ich war so einer, der ihn einfach nicht mehr aushalten konnte.
Jahrelang habe ich versucht, ihn zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt zu promovieren. Es ging nicht. Wem hätte das auch genützt? Er würde versprechen, mit Krawatte zu erscheinen, aber nicht kommen; oder er würde vorschützen, nicht erscheinen zu können, dann aber mit dem Mundraclette in der Hand am Eingang die Gäste begrüßen.
Einmal sagte ich ihm, als er unvermutet auftauchte, "hau ab, meine Frau und ich müssen den Geburtstag der Gorvin (Joana Maria) ausrichten, du störst". Als erster erschien er am Abend und brachte als schnell erstelltes Geschenk eine hübsche Zeichnung mit: die Schauspielerin war in sechs Positionen als "Don Gil von den grünen Hosen" dargestellt. Dank ihm wurde der sonst so dröge Abend ein Erfolg. Er machte den "Führer" nach, und als alle gegangen waren, sagte er: "Siehste, ich kann mich auch benehmen. Jetzt trinken wir noch eine Flasche Wein." Gottergeben und dankbar leerte ich sie mit ihm. Draußen wartete das Taxi. Er öffnete die Tür und schlug lang hin, winkte mir mit seinen drei frisch verlorenen Zähnen zu und verschwand im Taxi.
Ein so vielschichtiges, hochsensibles Wesen wie Horst Janssen (in der Politik nur mit Herbert Wehner vergleichbar) kann man in wenigen Zeilen nicht kritisieren. Sicher ist, daß er von der Avantgarde nichts hielt und daß er von ihr auch nicht vergöttert wurde.
Sicher ist ebenso, daß er eine heillose Angst davor hatte, sich zu wiederholen, und er hat sich, wie auch anders, wiederholt. Jedenfalls ist er kein sich perpetuierender Marc Chagall geworden.
Dem Giorgio de Chirico, dessen kurzlebige Höchstzeit zwischen 1912 und 1925 er nie erreichen konnte, hat er im SPIEGEL-Haus eine Pfanne Rührei auf den Kopf stülpen wollen, was verhindert werden konnte. Eingeladen war er nicht, aber zu diesem Zeitpunkt gewiß der bedeutendere Künstler.
Ein spätes, sein letztes Glück erlebte er mit seiner von ihm verloren gegebenen Tochter "Lamme". Ein großartiger Kerl, ein Monstrum, ein Mann ist nun weg. Ob man sich in Jahrhunderten noch mit ihm befassen wird, wie ein Panegyriker schrieb, das mögen die Jahrhunderte unter sich ausmachen.
PS: Wie mir Ernst Bloch nach einem höchst unnützen Symposion in Wien auf einer Postkarte schrieb: "Es wird die Spur von unsern Wiener Tagen auch nicht in Wochen untergehn." Gloria mundi.
DER SPIEGEL 36/1995 - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags
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