Jeanne-Claude und Christo bei ihrer Danksagung
Foto: © Barbara Herrenkind
Zu dieser "Überkleidung" gehören daher nicht nur Gewänder und Stoffe, sondern auch Masken, Rüstungen, Instrumente und schließlich die Architektur, also alle Formen der schützenden und reflexiven Selbstdistanzierung des Menschen von sich und seiner Umwelt. Indem Architektur durch Christos Verhüllungen verborgen und wieder enthüllt wird, erhält sie nicht etwa ein zusätzliches Kleid, sondern bildet eine zweite Schicht dessen, was sie in anthropologischer Perspektive von Beginn an darstellt. Eine temporär verhüllte Architektur wie die Pont Neuf (1985) ist nie mehr das, was sie unverhüllt war, weil sie diese unverhüllte Funktion nun genauer und reflexiver repräsentiert, als sie es zuvor vermocht hätte.
Dasselbe gilt für die Verbergung, Umgebung und stoffliche Trennung von Landschaften. Immer geht es um eine Selbstdistanzierung des Menschen von seinen bewußtlos oder routiniert entleerten Blicken auf die Dinge. Die farbigen Sperrbarrieren, die verhüllten Küstenfelsen oder die verspannten Inseln Floridas: Sie markieren eine zwischen Natur und Bewußtsein sich schiebende symbolische Form, die durch die Schönheit der künstlichen Farb- und Schattenbildungen in Konkurrenz zu den natürlichen Gegebenheiten tritt und schließlich eine reflektierte, aus der Distanz erwachsene neue Einheit mit der Natur bildet.
Der Valley Courtain (1970) und der Running Fence (1976), die Surrounded Islands (1980) und die Umbrellas (1991) haben riesige Naturareale verfremdet, um sie durch den Zusatz des Stoffes und der Stofflinie bzw. der nicht abreißenden Kette von Farbpunkten zum Objekt eines Staunens zu machen, das, wie Wieland Schmied formuliert hat, auf die ursprüngliche Denkform der Philosophie zurückführt: das Alltägliche und Selbstverständliche immer neu als Herausforderung zu begreifen.
An intellektueller Schärfe übertraf die Bundestagsdiskussion über die Frage, ob der Reichstag verhüllt werden sollte, alle vorherigen Erörterungen darüber, wie sich Demokratie ein Bild von sich selbst machen und repräsentieren könne; selbst die Erörterungen über die Deutsche Einheit haben nicht ansatzweise dieselbe Grundsätzlichkeit über Fragen der repräsentativen Öffentlichkeit, der Freiheit und des Stils erfahren wie die Debatte über das Reichtstagsprojekt.
Es geht um den Entzug selbstverdienten Geldes aus der gewöhnlichen Wertezirkulation, um dieses, im ökonomischen Sinne zweckfrei, in ephemere Projekte zu investieren. Hieraus resultiert die fast panische Weigerung von Christo und Jeanne-Claude, öffentliche Gelder anzunehmen. Es geht hier nicht mehr um Scherze. Wenn, wie zum Beispiel bei der Umbrella-Aktion in Japan und Kalifornien, umgerechnet mehr als 40 Millionen selbstverdiente Mark durch Jeanne-Claude verwaltet und organisiert werden, dann werden Prinzipien definiert, die dem Augenblicksinteresse des Marktes die Kultur des nicht vordergründig und unmittelbar Nützlichen entgegensetzen. Es ist dasselbe Prinzip, ohne das die Universitäten nicht existieren würden.