hide random home http://www.kulturbox.de/christo/buch/brede2.htm (Einblicke ins Internet, 10/1995)

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Horst Bredekamp

Eine Laudatio:

Das Werk von Christo und Jeanne-Claude als Beitrag zur Zusammenführung von Kunst und Wissenschaft(1)

Jeanne-Claude und Christo bei ihrer Danksagung
Foto: © Barbara Herrenkind

3. Distanznahmen

Hierin liegt jene kulturgeschichtliche Dimension, die den Menschen als ein seit dem alttestamentlichen Sündenfall im weitesten Sinn "überkleidetes" Wesen begreift. Das Alte Testament weist den Menschen dieser Erde qua definitionem als verhüllt aus - bevor Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben werden, bekommen sie das Kleid des Schutzes, der Scham und des Todes übergezogen. Daß die Kleidung daher eine zweite Existenzform des Menschen abgeben kann, sein zweites, sowohl individuelles wie soziales Ich, gehört seither zur Bestimmungsgröße jeder Repräsentation. Die von Ernst Kantorowicz untersuchte Spaltung des Herrschers in einen persönlichen Körper und das corpus politicum, das sich im Ornat und den Insignien ausweist, gehört zu jenen steigernden Verhüllungsstrategien, die das Muster der Vertreibung aus dem Paradies aufnehmen, um es in sein Gegenteil zu verkehren.

Zu dieser "Überkleidung" gehören daher nicht nur Gewänder und Stoffe, sondern auch Masken, Rüstungen, Instrumente und schließlich die Architektur, also alle Formen der schützenden und reflexiven Selbstdistanzierung des Menschen von sich und seiner Umwelt. Indem Architektur durch Christos Verhüllungen verborgen und wieder enthüllt wird, erhält sie nicht etwa ein zusätzliches Kleid, sondern bildet eine zweite Schicht dessen, was sie in anthropologischer Perspektive von Beginn an darstellt. Eine temporär verhüllte Architektur wie die Pont Neuf (1985) ist nie mehr das, was sie unverhüllt war, weil sie diese unverhüllte Funktion nun genauer und reflexiver repräsentiert, als sie es zuvor vermocht hätte.

Dasselbe gilt für die Verbergung, Umgebung und stoffliche Trennung von Landschaften. Immer geht es um eine Selbstdistanzierung des Menschen von seinen bewußtlos oder routiniert entleerten Blicken auf die Dinge. Die farbigen Sperrbarrieren, die verhüllten Küstenfelsen oder die verspannten Inseln Floridas: Sie markieren eine zwischen Natur und Bewußtsein sich schiebende symbolische Form, die durch die Schönheit der künstlichen Farb- und Schattenbildungen in Konkurrenz zu den natürlichen Gegebenheiten tritt und schließlich eine reflektierte, aus der Distanz erwachsene neue Einheit mit der Natur bildet.

Der Valley Courtain (1970) und der Running Fence (1976), die Surrounded Islands (1980) und die Umbrellas (1991) haben riesige Naturareale verfremdet, um sie durch den Zusatz des Stoffes und der Stofflinie bzw. der nicht abreißenden Kette von Farbpunkten zum Objekt eines Staunens zu machen, das, wie Wieland Schmied formuliert hat, auf die ursprüngliche Denkform der Philosophie zurückführt: das Alltägliche und Selbstverständliche immer neu als Herausforderung zu begreifen.

4. Durchsetzbarkeit des Utopischen

Christo und seine Frau sind auch als Beweger des Politischen und Sozialen insofern zu begreifen, als ihre Großprojekte nicht ohne die Zustimmung und Mitarbeit großer Bevölkerungsgruppen und der jeweiligen Autoritäten zu bewerkstelligen waren. Die soziale, teils durch hunderte von Veranstaltungen vorbereitete Akzeptanz scheinbar sinnloser Unternehmungen gehören zum Werkprozeß selbst. In seinen Kampagnen für seine Werke hat Christo in aller Öffentlichkeit in verschiedenen Regionen von Japan bis Kalifornien die Durchsetzbarkeit selbst des Utopischen vorgeführt. Untrennbar von seiner künstlerischen Qualität können Christo und seine Frau auch als große Politiker und als nicht weniger eindrucksvolle Reflektoren und Anreger sozialer und politischer Prozesse betrachtet werden.

An intellektueller Schärfe übertraf die Bundestagsdiskussion über die Frage, ob der Reichstag verhüllt werden sollte, alle vorherigen Erörterungen darüber, wie sich Demokratie ein Bild von sich selbst machen und repräsentieren könne; selbst die Erörterungen über die Deutsche Einheit haben nicht ansatzweise dieselbe Grundsätzlichkeit über Fragen der repräsentativen Öffentlichkeit, der Freiheit und des Stils erfahren wie die Debatte über das Reichtstagsprojekt.

5. Investition ins Ephemere

Zu dieser politischen Ebene, die den Prozeß der Durchsetzung als Teil des Werkes selbst begreift, kommt eine wirtschaftliche, deren Prinzip in einer künstlerischen Ökonomie besteht. Seit es die Marktgesellschaft als dominanter Wirtschaftsform gibt, also spätestens seit dem 14. Jahrhundert, leben Künstler mit ihr in einem seltsamen Spannungsverhältnis. Christos und Jeanne-Claudes Realisierungen der großen Kampagnen waren Extremformen dieses Konfliktes. Es handelt sich um quasi großindustrielle Unternehmungen, die mit einem in der Kunstgeschichte wohl beispiellosen organisatorischen, politischen und auch finanziellen Aufwand umgesetzt wurden.

Es geht um den Entzug selbstverdienten Geldes aus der gewöhnlichen Wertezirkulation, um dieses, im ökonomischen Sinne zweckfrei, in ephemere Projekte zu investieren. Hieraus resultiert die fast panische Weigerung von Christo und Jeanne-Claude, öffentliche Gelder anzunehmen. Es geht hier nicht mehr um Scherze. Wenn, wie zum Beispiel bei der Umbrella-Aktion in Japan und Kalifornien, umgerechnet mehr als 40 Millionen selbstverdiente Mark durch Jeanne-Claude verwaltet und organisiert werden, dann werden Prinzipien definiert, die dem Augenblicksinteresse des Marktes die Kultur des nicht vordergründig und unmittelbar Nützlichen entgegensetzen. Es ist dasselbe Prinzip, ohne das die Universitäten nicht existieren würden.


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