hide random home http://www.urz.uni-heidelberg.de/uni/rech/A/I/1/ (Einblicke ins Internet, 10/1995)

1. Hochschulen und Öffentlichkeit

1.1 Die öffentliche Meinung: kritische Grundstimmung
Den Hochschulen weht in der öffentlichen Meinung der Wind zunehmend ins Gesicht. Berichte und Kommentare in den überregionalen Medien über Hochschulthemen sind meist durch einen kritischen Unterton geprägt, Politiker halten mit ihrer tendenziell negativen Ansicht über die Verhältnisse an den Hochschulen nicht hinterm Berg, und auch von Repräsentanten der Spitzenverbände der Wirtschaft hört man überwiegend ablehnende Kommentare. Gewisse Differenzierungen in diesem Konzert sind zwar unverkennbar. So erfahren die Fachhochschulen in den Kommentaren meist weniger negative Beurteilungen als die Universitäten; teilweise werden sie den Universitäten sogar als Muster vorgehalten. Auch bezieht sich die verbreitete Kritik an "den" Hochschulen typischerweise nicht auf die Universität vor Ort. Diese erfreut sich im Gegenteil meist positiver Resonanz, wenn sie nicht gerade in einer alten Universitätsstadt ansässig ist und deshalb zum selbstverständlichen Inventar rechnet. An der geschilderten Grundtendenz vermögen diese Nuancen jedoch nichts wesentliches zu ändern.

Beim Versuch, die Ursachen der Kritik zu analysieren, stößt man auf verbreitete Stereotype und Schlagworte; sie haben sich offenbar in den Köpfen festgesetzt und kehren unabhängig von den sich wandelnden Verhältnissen an den Hochschulen regelmäßig in der Diskussion wieder. Dazu gehört die beliebte Kritik an den überlangen Studienzeiten ebenso wie der immer wieder zu hörende Hinweis auf die Reformunfähigkeit der Hochschulen. Den Professoren wird vorgehalten, sich unter Vernachlässigung der Lehre nur oder in erster Linie ihren Forschungsinteressen zu widmen. Aber auch die Forschung stößt auf Kritik, da sie nicht hinreichend zum Technologietransfer als "Bringschuld" der Hochschulen beitrage. Neuerdings gesellt sich zu diesen Schlagworten sogar die These, die Hochschulen seien zu teuer und kaum noch zu finanzieren, obwohl bekannt sein dürfte, daß die Überlast fortbesteht und die Finanzausstattung der Hochschulen im wesentlichen auf dem Niveau der 70er Jahre eingefroren ist. Daß es in einem solchen Meinungsklima besonders schwierig, wenn nicht unmöglich ist, Haushaltspolitiker davon zu überzeugen, daß die Hochschuletats wenn schon nicht aufgestockt, so doch von Kürzungen verschont werden müssen, dürfte offensichtlich sein.
1.2 Zur Berechtigung der Kritik
Aus der Innensicht der Hochschulen fällt es schwer, für die negative Grundstimmung der öffentlichen Meinung und die verbreitet vorgetragenen Kritikpunkte Verständnis aufzubringen. Der Eindruck liegt nahe, daß bei den Kritikern die Pflege liebgewordener Vorurteile vorherrscht, während die Bereitschaft, von dem tatsächlichen Geschehen in den Hochschulen Kenntnis zu nehmen, wenig ausgeprägt ist. Symptomatisch dafür ist ein FAZ-Leitartikel vom März 1995, in dem unter dem Titel "Es leben die Studenten" eine Meldung des Wissenschaftsrats über die Studienzeitentwicklung in den Jahren 1986 bis 1991(!) zum Anlaß genommen wird, erneut die angeblich unhaltbare Situation bei den Studienzeiten zu kommentieren, ohne daß auch nur mit einem Wort auf die mehrere Jahre zurückliegende Referenzperiode eingegangen wird. Auch davon, daß inzwischen, etwa mit Hilfe des "Freischusses" in der Juristenausbildung (vgl. dazu unter B I 4), eindrucksvolle Fortschritte erzielt worden sind, erfährt man nichts, obwohl gerade diese sehr zu begrüßenden, anreizbedingten Fortschritte die Unrichtigkeit der verbreiteten Ansicht belegen, es seien in erster Linie die Studienbedingungen an den Universitäten, die einem schnelleren Abschluß entgegenstehen. Auch die Aussage über die Reformunfähigkeit der Universitäten würde sich selbst widerlegen, wenn die Kritiker sich etwa der Mühe unterziehen würden, das Universitätsgeschehen in Lehre und Forschung mit den Verhältnissen vor zehn oder gar zwanzig Jahren zu vergleichen oder auch nur die regelmäßig wiederkehrenden Tagesordnungspunkte auf Fakultäts- und Senatssitzungen über die Reform von Studien- und Prüfungsordnungen zur Kenntnis zu nehmen. Richtig ist, daß es abrupte Änderungen der Verhältnisse an den Hochschulen seit dem Umbruch Ende der 60er Jahre nicht gegeben hat und möglichst auch nicht wieder geben sollte. Jedoch wäre es zumindest vorschnell, daraus auf generelle Reformunfähigkeit schließen zu wollen.

Überraschend an der negativen Grundstimmung der öffentlichen Meinung und mit ihr nicht ohne weiteres vereinbar ist auch, daß die Hochschulen gleichwohl immer größeren Zulauf haben und daß ihre unentbehrliche Funktion für qualifizierte Berufsausbildung und Spitzenforschung außer Zweifel steht. Wenn inzwischen bereits 40% eines Jahrgangs die Hochschulzugangsberechtigung erwerben und nicht weniger als 30- 35% von ihr Gebrauch machen, sollte das von der Öffentlichkeit ebenso als deutliches Signal zur Kenntnis genommen werden wie der Umstand, daß die Hochschulen alle Anstrengungen unternommen haben, mit der in den letzten 20 Jahren eingetretenen Verdoppelung ihrer Studierendenzahlen ohne ins Gewicht fallende Ausweitung ihrer Kapazitäten, aber auch ohne spürbare Verschlechterung des Ausbildungsniveaus fertig zu werden. Auch im internationalen Vergleich rangieren die Absolventen deutscher Universitäten nach wie vor in der Spitzengruppe und sind - trotz ihres relativ höheren Alters - bei ausländischen Universitäten und sonstigen Forschungseinrichtungen, aber auch bei Unternehmen u.a. von großem Interesse. Schließlich bestätigt auch der hohe Anteil ausländischer Studierender in Deutschland die Qualität der deutschen Universitäten. Entsprechendes läßt sich auch für die deutsche Universitätsforschung feststellen. Auch sie kann - von möglichen fachspezifischen Besonderheiten abgesehen - nicht nur national, sondern auch international mithalten und ist in nicht wenigen Bereichen in der Spitzengruppe zu finden. Das bestätigt neben dem Zitatenindex als anerkanntem Qualitätsmaßstab in Naturwissenschaften und Medizin auch die große Zahl ausländischer Gastwissenschaftler aus den USA, Japan und anderen in der Forschung führenden wesentlichen Ländern, die jährlich nach Deutschland kommen. Und selbst gegenüber der Kritik am unzureichenden Technologietransfer lohnt es, den Ursachen genauer nachzugehen: Sie liegen mindestens so sehr an der Zurückhaltung der Unternehmen gegenüber fremden Forschungsergebnissen ("not invented here") und an der fortbestehenden Reserve der Öffentlichkeit gegenüber zentralen modernen Forschungsfeldern wie an der für ein Hochtechnologieland wie Deutschland unverzichtbaren Grundlagenorientierung der Universitätsforschung. Im übrigen zeigt der von Jahr zu Jahr zunehmende, überwiegend auf angewandte Forschung entfallende Anteil der sog. Drittmittelfinanzierung an den Gesamteinnahmen der Hochschulen, daß die Universitätsforschung längst den Elfenbeinturm verlassen hat.
1.3 Was zu tun ist
Die vorstehend nur kurz beleuchtete Diskrepanz zwischen Wirklichkeit der Hochschulen und öffentlicher Meinung zeigt, daß in hohem Umfang Aufklärungsbedarf besteht und die Hochschulen sich noch mehr als bisher darum bemühen sollten, das Ihre dazu beizutragen. Dabei genügt es nicht, von Zeit zu Zeit eine große Aktion zu veranstalten wie die von Hochschulrektorenkonferenz und Deutscher Forschungsgemeinschaft im Juni 1994 initiierten "Tage der Forschung". Obwohl sich an dieser Initiative die große Mehrzahl der deutschen Universitäten und sonstigen Forschungseinrichtungen beteiligte, war die Resonanz in den Medien und in der öffentlichen Meinung doch bedauerlich gering. Offenbar muß gleichzeitig oder besser vorab der Boden für eine stärkere Aufnahmebereitschaft der Öffentlichkeit gegenüber Universitätsinformationen auf andere Weise bereitet werden. Das erfordert eine Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit der Hochschulen; auch sollte diese sich nicht auf die Medien beschränken, sondern sollte alle erreichbaren Ebenen einbeziehen, darunter vor allem verstärkte Kontakte zur Politik, aber auch zur Wirtschaft und Verwaltung, selbst wenn in dort teilweise besonders schwer zu fallen scheint, festgefahrene Vorstellungen aufzulockern und Bereitschaft zum offenen Dialog und zur unvoreingenommenen Betrachtung zu erzielen.
1.4 Der Beitrag der Hochschulmitglieder
Die Aufforderung zu verstärkter Öffentlichkeitsarbeit richtet sich nicht nur an die Universitätsleitungen und die Spitzenverbände der Hochschulen, auch wenn sie hierzu in erster Linie berufen sein mögen. Vielmehr sollten gerade auch die Beiträge der einzelnen Hochschulmitglieder zu diesem Dialog nicht unterschätzt werden. Leider sprechen in der Tat gute Gründe dafür, daß es nicht zuletzt die zahlreichen Äußerungen von mit der Überlast konfrontierten Hochschullehrern über die angeblich unhaltbaren Zustände an den Hochschulen waren, die wesentlich zu deren negativem Meinungsbild in der Öffentlichkeit beigetragen haben; auch die bestenfalls unbedachte, in ihren Auswirkungen verheerende Äußerung des führenden Repräsentanten einer Wissenschaftsorganisation über die "verrotteten" Universitäten ist noch unvergessen.

Hier tut - schon im eigenen Interesse der Beteiligten - Gegensteuern dringend not. So unverzichtbar es angesichts vorgegebener Rahmenbedingungen ist, den veränderten Verhältnissen im Universitätsgeschehen durch geeignete Reformen Rechnung zu tragen (und so sehr sich die Universität und ihre Gliederungen darum bemühen, wie andere Teile dieses Berichts deutlich machen werden), bedarf es doch auch der offensiven Vertretung dieser Veränderungen nach außen einschließlich der Bereitschaft der Hochschulmitglieder, sich hinter die eigene Hochschule zu stellen, wenn nicht mit ihr zu identifizieren. Freilich scheint dem das Ergebnis einer kürzlichen repräsentativen Umfrage unter rd. 700 Hochschullehrern entgegenzustehen: Ihr ist zu entnehmen, daß die deutschen Hochschullehrer sich im Unterschied zu ihren ausländischen Kollegen zwar mit ihrer wissenschaftlichen Fachrichtung verbunden fühlen, nicht aber mit ihrer jeweiligen Hochschule. Trifft dieser Befund zu, so ist auch das ein alarmierendes, wohl nicht zuletzt auf die Umwälzungen Ende der 60er Jahre zurückzuführendes Zeichen, das sich nur schwer mit der Idee der Universität als sich selbst verwaltender Körperschaft Gleichgesinnter und Gleichgestellter in Übereinstimmung bringen läßt. Da dieselbe Umfrage erkennen läßt, daß die Hochschullehrer trotz ihrer weit überdurchschnittlichen Arbeits- und Zeitbelastung mit ihrer Berufssituation zufrieden sind und da diese Situation nicht ohne das universitäre Umfeld denkbar ist, sollte es den Hochschullehrern nicht zu schwer fallen, bestehende Vorbehalte zu überwinden und sich stärker, als es dem hergebrachten Berufsbild des Hochschullehrers entspricht, in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen.