SPIEGEL-Gespräch
Bertelsmann-Vorstand Michael Dornemann über Disney, Kirch und die Fernsehpläne seines Konzerns
38503 byte, die größten Medienkonzerne der Welt
SPIEGEL: Herr Dornemann, Bertelsmann gehört zu den weltgrößten Medienkonzernen, die entscheidenden Einkäufe im Fernsehgeschäft aber machen die anderen. Disney kauft die TV-Kette ABC, Westinghouse den Sender CBS, Time Warner will Turner Broadcasting System übernehmen. Warum schauen Sie immer nur zu?
Dornemann: Bei den sogenannten Mega-Deals ist meist nur eines megamäßig, und das sind die hohen Kaufpreise. Wir schauen zu, weil diese Liebhaberpreise, die bis zum Dreifachen des Umsatzes gehen, einfach überdreht sind. Das rechnet sich niemals.
SPIEGEL: Wer hat schuld an dem grassierenden Fusionsfieber in Amerika?
Dornemann: Der ohnehin enge Markt ist eindeutig überhitzt. Die großen Medienkonzerne veranstalten eine Art Wettrennen, wer das größte Unternehmen hat. Unter kaufmännischen Gesichtspunkten kann ich nur sagen: Die Amerikaner sind crazy, diese Preise zu zahlen.
SPIEGEL: Zuschauer Bertelsmann fällt immer weiter zurück. Im Film- und Fernsehgeschäft sind Sie nur die Nummer 15 auf der Welt.
Dornemann: Ich prophezeie Ihnen: Vieles, was da in Amerika mit großem Wirbel fusioniert, hat keinen dauerhaften Bestand. Wir bei Bertelsmann riskieren nicht durch einen einzigen falschen Mega-Deal die Existenz unseres Unternehmens.
SPIEGEL: Die Chefs von Time Warner und Disney, die sich zusätzlich zu ihren Filmvorräten eigene Sender zulegen, sind doch keine Zocker. Adam Riese gilt auch für die US-Medienindustrie.
Dornemann: Warten Sie ab. Diese absurden Preise haben selbst Mediengrößen wie Rupert Murdoch und Ted Turner schon einmal in eine gefährliche Schieflage gebracht. Im übrigen habe ich das Gefühl, daß selbst bei ansonsten rationalen Unternehmen der Wunsch nach Größe und Machtfülle ein gefährliches Begleitmotiv sein kann.
SPIEGEL: Sie rechnen mit spektakulären Pleiten?
Dornemann: Ich schließe das nicht aus, weil viele dieser Geschäfte nicht kaufmännisch kalkuliert sind. Nehmen Sie nur den Disney-Deal. Der Kaufpreis für ABC betrug 19 Milliarden Dollar, davon 9 Milliarden in Aktien, die mit Dividenden bedient werden müssen. Allein die restlichen 10 Milliarden Schulden verlangen einen Zinsaufwand von 800 Millionen Dollar plus Abschreibung auf den Firmenwert. Diese Finanzierungskosten können allein aus der Ertragskraft nicht erbracht, geschweige denn Gewinne erwirtschaftet werden. Time Warner zum Beispiel hat seit Jahren keine Gewinne mehr erzielt und einen Schuldenberg von 15 Milliarden Dollar aufgehäuft.
SPIEGEL: Ihre Konkurrenten erhoffen sich von solchen Deals zusätzliche Effekte für alle Konzerntöchter. Disney-Chef Eisner behauptet: Eins plus eins macht vier.
Dornemann: Ich kenne Michael gut und finde, er ist einer der ganz Großen - aber das kann ich nicht nachvollziehen. Auch wenn Disney ein großes TV-Network zum Ausstrahlen der Filme sicher gefehlt hat, erwarte ich keine allzu großen Synergieeffekte. Die Geschichte, auch die in Deutschland, hat doch gezeigt, daß mit Synergie sehr viel begründet und sehr wenig erreicht werden kann.
SPIEGEL: Die Börsianer der Wall Street haben den Disney-Deal anders bewertet - der Aktienkurs der Mickymaus-Firma stieg.
Dornemann: Lassen Sie sich doch nicht täuschen. Wall Street hat selbst ein großes Interesse daran, daß derartige Deals laufen. Die Jungs in den Investment-Banken verdienen gutes Geld an solchen Take-overs und sorgen schon deshalb für die nötige Euphorie.
SPIEGEL: Mit Ihrer zaudernden Haltung stehen Sie ziemlich allein da. Schimpfen und Nichtstun scheint uns keine erfolgversprechende Strategie.
Dornemann: Ich schimpfe nicht, ich analysiere. Meine Mitarbeiter in New York würden Sie für solche Bemerkungen verprügeln. Wir haben aus dem Nichts einen Entertainment-Konzern geschaffen, der in Amerika seinen Anteil im Musikgeschäft aus eigener Kraft von 7 auf 13 Prozent fast verdoppelt hat. Kein anderer Musikkonzern wächst so schnell wie wir. Jetzt steuern wir einen US-Marktanteil von 18 Prozent an.
SPIEGEL: Bertelsmann, der drittgrößte Medienkonzern der Welt, macht noch immer zwei Drittel seiner Umsätze im traditionellen Druck- und Verlagsgeschäft. Im Film- und Fernsehbusiness ist das Unternehmen ein Zwerg geblieben.
Dornemann: Historisch gesehen sind wir eben ein Verlagshaus. Wir haben Bücher, ein großes Club-Geschäft, und unser Zeitschriftensortiment gilt weltweit als Juwel. Das Unternehmen ist im Musikgeschäft ein weltweiter Mitspieler, wir expandieren mit America Online in neue Computerdienste - und auch im Film- und Fernsehgeschäft wollen wir kräftig wachsen. Bisher haben wir jedenfalls nichts verschlafen. Unsere Strategie, mittlere Akquisitionen zu tätigen und diese dann durch schnellen Eigenausbau nach vorn zu bringen, haben wir erfolgreich im Musikgeschäft der letzten acht Jahre vorgeführt. Für nur 330 Millionen Dollar haben wir uns mit RCA/Arista in das Musikgeschäft eingekauft und daraus inzwischen einen Global Player mit 14 Prozent Weltmarktanteil entwickelt.
SPIEGEL: Im Film- und Fernsehgeschäft haben Sie den frühen Einstieg verpaßt. Jetzt sind die Preise für Filmrechte, TV-Sender, Radiostationen und Hollywood-Studios hoch und werden es nach Einschätzung aller Experten auch bleiben.
Dornemann: Das hohe Preisniveau ist dauerhaft, das sehe ich genauso. Und natürlich können Deals in Milliardenhöhe, die sich nicht allein aus der Ertragskraft finanzieren lassen, auch für uns nötig werden. Wenn man diese Geschäfte strategisch dennoch für wichtig hält, muß man sich intelligente Finanzierungen überlegen.
SPIEGEL: Den Weg zur Börse hat Ihr Konzern bisher gemieden. Reinhard Mohn, der starke Mann bei Bertelsmann, der in der Aktiengesellschaft über die Stimmenmehrheit verfügt, fürchtet, das Unternehmen könne eines Tages in fremde Hände fallen.
Dornemann: Wir sind mit unserer Strategie, Wachstum aus eigener Stärke zu finanzieren, bisher gut gefahren. Die Gründermentalität, Geschäfte selbst zu entwickeln, wird dadurch gefördert, und es entsteht eine hohe Kostendisziplin. Auch deshalb wird sich an der Konstruktion unserer Gesamtgesellschaft nie etwas ändern. Aber ich kann mir für neue Tochtergesellschaften, die eine Übernahme organisieren sollen, sehr wohl ein Going public vorstellen. Der Börsengang erlaubt es eher, Akquisitionen zu verkraften, weil dann keine Schulden in die Bilanz übergehen. Im übrigen ist Bertelsmann gegen die typischen amerikanischen Übernahmeangriffe völlig unverwundbar. Dies ist für ein publizistisches Unternehmen von großem Vorteil.
SPIEGEL: Wann gibt es die Aktien einer Entertainment AG in New York zu kaufen?
Dornemann: Eine öffentliche Aktiengesellschaft könnte vor und/oder auch nach einem Deal gegründet werden. Die erste Voraussetzung: Kaufpreis und Akquisition sind im unternehmerischen Sinn vernünftig.
SPIEGEL: Sie haben bereits bestimmte Unternehmen im Visier, die zu Bertelsmann passen würden?
Dornemann: Meine bevorzugte Strategie ist nicht die Großakquisition. Ich glaube, daß es möglich ist, sich durch kleinere Zukäufe Kreativzellen im Filmbereich zu schaffen und parallel dazu die Distribution selbst aufzubauen. Vielleicht ist es noch sinnvoll, sich eine Filmbibliothek anzuschaffen, so daß man am Ende drei Teile hat: Filmarchiv, Produktion in Amerika und vor allem auch in Europa sowie die Sender in Europa. Dieser Weg ist mühsamer, unternehmerisch aber wahrscheinlich erfolgreicher als die Mega-Deals.
SPIEGEL: Haben Sie keine Angst, daß Sie mit Ihrer behutsamen Strategie zu spät kommen?
Dornemann: Aus zwei Gründen bin ich furchtlos: Erstens brauchen wir im Moment nicht dringend ein eigenes Filmgeschäft, weil die Programmversorgung unserer Sender, Vox, RTL und Premiere, gesichert ist. Bei Vox haben wir mit Rupert Murdoch einen Partner, der mit 20th Century Fox sogar ein eigenes Studio besitzt. Außerdem, und das ist der zweite Grund, ist die Branche sehr kreativ. Es werden immer neue Produktionsfirmen aufgebaut, die eine konzernfreie Versorgung mit Filmen möglich machen.
SPIEGEL: Bisher ist Ihr TV-Geschäft nicht nur eine Erfolgsstory: Sie ringen öffentlich mit der Compagnie Luxembourgeoise Telediffusion (CLT) um die Vormachtstellung bei RTL, Premiere trudelt in der Verlustzone, bei 400 Millionen Mark Anlaufverlusten schreibt Vox noch immer rote Zahlen.
Dornemann: Vox ist keine Success-Story, das gebe ich auf der Stelle zu. Aber im zweiten Anlauf wird es, auch dank der starken Partnerschaft mit Rupert Murdoch, gelingen, den Sender zu einem Mitspieler in Deutschland zu entwickeln.
SPIEGEL: Der Marktanteil liegt bei mickrigen zwei bis drei Prozent.
Dornemann: Wir starten mit Vox unter erschwerten Bedingungen, weil wir sehr spät in den Markt kommen. Außerdem dürfen Murdochs Filme erst Mitte l996 auf Vox gesendet werden, weil die Rechte im Moment bei dem Medienunternehmer Leo Kirch liegen. Wenn Murdoch diese Rechte wieder frei hat, wird Vox spürbar besser versorgt sein.
SPIEGEL: Und dann soll der Sender Profit abwerfen?
Dornemann: Die Verluste der ersten Startphase sind für immer verloren, das war eine klassische Fehlinvestition. Die neueren Anlaufverluste, die seit dem zweiten Start Mitte l994 entstanden sind, will ich in drei bis vier Jahren zurückverdient haben. Wir steuern für Vox einen Marktanteil zwischen fünf und sieben Prozent an. Das wäre ein schönes Beiboot zu unserem Flaggschiff RTL.
SPIEGEL: Bei Ihrem Pay-TV-Sender Premiere, den Sie zusammen mit Kirch und dem französischen Unternehmen Canal Plus betreiben, rechneten Sie schon für dieses Jahr mit einer Million Kunden und schwarzen Zahlen. Beide Ziele sind verfehlt.
Dornemann: Das ist enttäuschend, aber erklärbar. Die deutschen Free-TV-Sender, also die kostenlosen Programme, sind fast alle mit guten Filmen bestückt, so daß sich Premiere mit seinen exklusiven Kinofilmen kaum absetzen kann.
SPIEGEL: Wie wollen Sie mit weniger als einer Million Abonnenten jemals schwarze Zahlen schreiben?
Dornemann: Schwarze Zahlen allein stehen im Moment nicht im Vordergrund. Wir haben jetzt 920 000 Abonnenten, die Monat für Monat 44,50 Mark zahlen. Diesen Stamm müssen wir jetzt zügig erweitern.
SPIEGEL: Die Lust aufs Pay-TV ist in Deutschland nicht sehr groß.
Dornemann: Wir müssen deshalb weiter ins Produkt investieren und unser Marketing verbessern, auch wenn das 20 oder 30 Millionen Mark mehr im Jahr kostet. Das strategische Ziel aller Gesellschafter ist es, mit möglichst vielen Abonnenten in das digitale Zeitalter zu marschieren.
SPIEGEL: Mitgesellschafter Kirch marschiert schon mal allein los. Er hat, an Bertelsmann vorbei, einen eigenen Decoder entwickelt, der für die künftige Programmversorgung und Programmbezahlung so wichtig ist wie das Betriebssystem für die Computer.
Dornemann: Was Kirch getan hat, ist ökonomisch nicht vernünftig. Wir sollten in Deutschland nur einen Decoder anbieten und die Kunden nicht mit mehreren Systemen verwirren. Ich hoffe, wir kommen mit Kirch doch noch zu einer Einigung.
SPIEGEL: Auch beim größten deutschen Privatsender RTL rumort es. Dort hat Bertelsmann in einer Geheimaktion den bisher stärksten Gesellschafter, die CLT, entmachtet.
Dornemann: Wir wollen künftig bei RTL eine entscheidende Rolle spielen und glauben, daß das auch im Interesse des Senders ist. Marktführer zu werden ist schwer, es zu bleiben noch schwerer.
SPIEGEL: Was wollen Sie mit der gewonnenen Vormachtstellung bei RTL anfangen?
Dornemann: Zwei Schwergewichte wie Bertelsmann und CLT können sich leichter verständigen, als wenn viele kleine Gesellschafter für wechselnde Mehrheiten sorgen. Burda selbst war mit der Zusammenarbeit unzufrieden und hat deshalb an uns verkauft. Für die konkreten Programmentscheidungen steht mit Helmut Thoma der Beste der Branche an der Spitze. Im Tagesgeschäft hat das Gezerre um die Anteile ohnehin keine Auswirkungen, wie sich beim Abschluß des großen Warner-Filmpaketes gerade gezeigt hat.
SPIEGEL: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich?
Dornemann: Deutsche sind in der Beurteilung solcher Fragen oft zu engstirnig. Wenn jemand wie wir ein Geschäft weltweit betreibt, dann ergibt es sich häufig, in Teilmärkten mit Wettbewerbern hart zu ringen und in anderen Feldern zu kooperieren. Ich halte nichts von schablonenhaften Feindbildern. Warum soll ich nicht mit Herrn Kirch einen heftigen Streit um den Decoder haben und trotzdem im Pay-TV-Geschäft mit ihm kooperieren?
SPIEGEL: Wird es in absehbarer Zeit weitere Bertelsmann-Sender geben?
Dornemann: Wir haben keine großen Pläne, sondern wollen unser Kerngeschäft bei Vox, Premiere und RTL nach vorne bringen.
SPIEGEL: Einzelunternehmer wie Leo Kirch in Deutschland, Silvio Berlusconi in Italien, Sumner Redstone und Rupert Murdoch in den USA haben die Chancen des TV-Zeitalters beherzter genutzt als der Großkonzern aus Gütersloh. Ist in solchen Gründerzeiten der risikobereite Unternehmer dem angestellten Top-Manager überlegen?
Dornemann: Ich glaube nicht. An der Spitze der amerikanischen Entertainment-Konzerne stehen immer mehr harte, überlegte Unternehmertypen wie Disney-Chef Eisner und Time-Warner-Boß Levin, die es verstehen, kreative Manager zu führen, und auch risikobereit sind. Ich sehe gerade in jüngster Zeit einen Schwenk - weg vom Einzelunternehmer, hin zum Entertainment-Manager.
SPIEGEL: Im kommenden Jahr soll die Vorentscheidung für die Nachfolge an der Bertelsmann-Spitze fallen. Stehen Sie als Nachfolger von Mark Wössner bereit?
Dornemann: Meine Aufgabe in Amerika, die ich im engen Verbund mit Herrn Wössner erledige, macht mir sehr viel Spaß. Die Entscheidung über die Nachfolge von Herrn Dr. Wössner ist Sache des Aufsichtsrates und von Herrn Dr. Wössner selbst.
SPIEGEL: Herr Dornemann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Michael Dornemann
lenkt aus dem 44. Stockwerk eines Büroturms am New Yorker Times Square das weltweite Unterhaltungsgeschäft des Medienriesen Bertelsmann. Das zur Jahresmitte 1994 gegründete Vorstandsressort Entertainment (Umsatz 1994/95: 7,35 Milliarden Mark) umfaßt die Musikfirmen sowie das im internationalen Maßstab noch kleine Film- und Fernsehgeschäft von Bertelsmann. Der promovierte Ökonom Dornemann, 49, war 1982 nach Jobs bei IBM, BMW und der Beratungsfirma Boston Consulting zu Bertelsmann gestoßen. Drei Jahre später rückte er in den Vorstand auf und organisierte - seine erste Großtat - in den USA den Ankauf der Plattenfirma RCA und des Buchverlags Doubleday. Der begeisterte Skifahrer zählt "Kampfgeist" zu seinen herausragenden Eigenschaften. In Amerika hat er sich den Ruf als eher konservativer Medienmanager erworben. In Gütersloh gilt er neben Vorstandsmitglied Thomas Middelhoff, zuständig für die Online-Aktivitäten, als möglicher Nachfolger von Konzernchef Mark Wössner, der im Oktober 1998 Aufsichtsratsvorsitzender werden soll.
DER SPIEGEL 36/1995 - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags
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