Arbeitnehmer
Der Computerkonzern Digital Equipment wollte ganze Abteilungen loswerden. Die Beschäftigten machten sich selbständig.
Drei Stunden hatte Klaus Lutz im Herbst vergangenen Jahres Zeit, sich zu entscheiden. Der Jurist, damals Arbeitsdirektor beim Münchner Computerhersteller Digital Equipment, sagte ja. "Ich weiß nicht", so Lutz heute, "ob ich noch einmal den Mut dazu hätte."
Seit dem 1. Oktober 1994 ist Lutz Geschäftsführer der frisch gegründeten Ditec Informationstechnologie, er fand zum Start nur Trümmer vor: von Digital abgestoßene Geschäftsbereiche und über 1300 Mitarbeiter, die der Computerriese nicht mehr haben wollte. "Wir hatten keine Produkte und keine Strategie", sagt Lutz; nicht einmal einen Namen hatte das häßliche Kind.
Unermüdlich ist Lutz seitdem zugange, um zusammen mit der Digital-Geschäftsführung, Betriebsräten, Gewerkschaftern und Rechtsanwälten aus dem Bruchwerk ein Unternehmen zu bauen. Nach knapp einem Jahr scheint es geschafft: "Ditec ist lebensfähig", befindet Thomas Klebe, IG-Metall-Jurist und Digital-Aufsichtsrat, erleichtert.
Die von Entlassung bedrohten Angestellten übernahmen die Geschäftsbereiche, die der Konzern nicht mehr wollte - eine Mitarbeitergesellschaft dieser Größe gab es im Westen noch nie.
Auf Anweisung der amerikanischen Konzernmutter sollte Digital im vergangenen Jahr 2000 Stellen abbauen und sich künftig auf Hardware-Technologie konzentrieren; der Vertrieb von Software, die damit verbundenen Dienstleistungen sowie das aufwendige Bildungszentrum wurden gekappt.
Die Beschäftigten, die das Unternehmen aussortierte, hatten die Wahl, ob sie maximal 50 000 Mark Abfindung kassieren oder in der Auffanggesellschaft unterkommen wollten.
Digital schoß 148 Millionen Mark ein, überließ Kundenverträge über 60 Millionen Mark, Grundstücke und die Namen von über tausend aus allen Abteilungen zusammengewürfelten Beschäftigten. "Ein wüster Haufen saß da und sollte etwas aufziehen", erinnert sich Petra Alvermann, Marketing-Managerin bei Ditec.
220 Millionen Mark Umsatz erwirtschaftete das Software-Unternehmen in seinem ersten Geschäftsjahr, im kommenden sollen es 250 Millionen sein. Mitte 1996, prognostiziert Lutz, ist die Gewinnschwelle erreicht.
Am Anfang herrschte Chaos. Die jahrelang vom Erfolg verwöhnten EDV-Leute waren geschockt, plötzlich standen ihre sicher geglaubten Jobs zur Disposition. Viele litten unter dem Makel, nun einer, wenn auch feinen, Beschäftigungsgesellschaft anzugehören.
Die von Digital abgestoßenen Abteilungen waren personell ausgeblutet, die Geschäftsbereiche zum Teil nur noch rudimentär vorhanden. Nichts paßte zueinander."Die Organisation war zerrissen, die Abläufe waren schwer gestört", beschreibt Lutz die Ausgangslage.
Die Geschäftsleitung ersann Produkte und schaffte neue Strukturen; schließlich mußte das junge Unternehmen so schnell wie möglich Umsätze machen und die übernommenen Kunden nahtlos bedienen.
Der Umschwung kam mit der Computermesse Cebit im vergangenen Frühjahr. Die Sorge des Geschäftsführers, "daß wir Freunde, Omas und Onkels holen müssen, damit überhaupt einer an unserem Stand ist", war verfehlt: Die Ditec-Mannschaft fand sich von Interessenten umringt. Sogar die alten Kollegen von Digital registrierten den Erfolg der Schmuddelkinder überrascht.
Heute spötteln die Neuen über den alten, trägen Arbeitgeber. In nur vier Wochen, sagt Ditec-Werbefrau Christiane London, habe ihre Firma eine neue Werbekampagne auf die Spur gesetzt, "bei Digital hat so etwas anderthalb Jahre gedauert". Marketing-Managerin Alvermann, die bei Digital mit ihren Ideen oft abgeschmettert wurde, konnte sich bei Ditec sofort aufmachen, ihre Konzepte umzusetzen. Mittlerweile arbeitet sie mit 60 Leuten daran.
"Wenn wir die Ärmel hochkrempeln und was tun, dann kriegen wir das hin", meint Alvermann. Vor 21 Uhr verläßt die Managerin fast nie das Büro, freie Wochenenden hatte sie schon lange nicht mehr. "Wir gucken nicht auf die Uhr."
Die Stimmung hat sich gewandelt, die Zweifel und die Angst vor der Zukunft sind zerstoben. Viele der hochqualifizierten EDV-Spezialisten, die sich in den schwerfälligen Digital-Hierarchien behindert und gebremst sahen, finden bei Ditec die Möglichkeit, sich zu engagieren, kreativ und unhierarchisch zu arbeiten. "Man sieht es wachsen", freut sich Vertriebsmann Gunter von der Fuhr.
Ditec vertreibt maßgeschneiderte Software für mittelständische Unternehmen, für Banken und Versicherungen. Die Nische, in der sich die Mitarbeitergesellschaft breitmacht, war für die großen EDV-Häuser bislang uninteressant, nur etliche, kleinere Anbieter tummelten sich darin.
Inzwischen sind Große der Branche auf die Neuen aus München aufmerksam geworden. Das Software-Unternehmen SAP etwa wollte Ditec für den Vertrieb seiner Produkte gewinnen. Lutz fühlte sich geschmeichelt und lehnte ab.
In diesem Herbst soll Ditec in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden, die Anteile werden die Mitarbeiter übernehmen.
"Der Makel", sagt Geschäftsführer Lutz zufrieden, "ist weg."
DER SPIEGEL 36/1995 - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags
[[ Unarchived form element ]]