DER SPIEGEL 49/1994


Werbung

Pinnwand mit Logo

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Werber entdecken den Computermonitor als Reklamefläche für ein Millionenpublikum.

Laurence Canter und Martha Siegel, Anwälte in Scottsdale (US-Staat Arizona), investierten 40 Dollar, um schnelles Geld zu machen. Wenig später hatten die geschäftstüchtigen Eheleute, so behaupten sie wenigstens, Aufträge im Wert von 100 000 Dollar gebucht.

Für die Akquisition nutzten die Advokaten eine noch wenig verbreitete Methode der Werbung. Von ihrem Personalcomputer (PC) aus, den sie über einen Signalwandler an die Telefonbuchse geklinkt hatten, sandten sie zahlreichen Empfängern im weltgrößten Datennetz Internet einen elektronischen Brief, in dem sie ihre Dienste anboten.

Zwar protestierten Netzwerker gegen die digitale Massenpost, die ihnen die Computerbriefkästen verstopfte. Doch die Anwälte legen nun nach: In einem "Handbuch für Marketing-Guerillakämpfer im Internet" versprechen sie Anleitungen, "wie sich auf dem Info-Highway ein Vermögen machen läßt" - Name ihrer neuen Firma: Cybersell.

Da kriegen sie womöglich ein Zukunftsgeschäft zu fassen. Mindestens 100 Milliarden Dollar, schätzen Experten, wird die Infobahn kosten, die Präsident Bill Clinton für Forscher und Geschäftsleute, Behörden und Normalverbraucher bauen will.

Der komplexe Verbund von Computern, Kabelnetzen und Hunderten von Fernsehkanälen soll die Kommunikation der Menschen revolutionieren und ihnen jede nur denkbare Information direkt ins Terminal auf dem Schreibtisch liefern: den Versandhauskatalog oder den elektronischen Brief von Onkel Theo, das Wunschvideo oder den Bankauszug. Und eben auch Werbung.

Denn Clintons Jahrhundertprojekt läßt sich aus Anschluß- und Nutzergebühren allein nicht finanzieren. "Wenn wir den Information-Highway bauen wollen", erklärte Brendan Clouston, Manager des US-Kabelriesen TCI, "müssen wir ihn mit Reklame pflastern."

Wie die digitale Werbung aussehen soll, zeichnet sich erst in Umrissen ab. Schlichtwerbung auf dem Monitor, wie sie mit Firmenhinweisen seit Jahren im Bildschirmtext der Telekom betrieben wird, taugt nicht zum Vorbild. In der Branche, vor allem bei den amerikanischen Kreativen, hat ein Wettrennen eingesetzt, wer den Kunden aus Industrie und Handel als erster ein schlüssiges Konzept bieten kann.

Denn Datennetze verlangen den Werbestrategen Ungewohntes ab. Den Computerbildschirm betrachten viele Benutzer, anders als den Fernseher, als eine individuell gestaltbare Oberfläche, die für Arbeit, Spiel und Kommunikation eingesetzt wird. Werbung auf dem Monitor kann da leicht wirken, als habe jemand ungefragt ein Persilplakat in der Wohnküche aufgehängt.

Hinzu kommen technische Probleme. Detailreiche Grafiken, Töne oder Videos, ohne die ein Werber in elektronischen Medien nur schwer auskommt, brauchen derzeit oft noch reichlich Zeit, bis sie aus den Tiefen des Datennetzes in den Computer zu Hause übertragen sind. Und die Vielfalt der Software, die Endverbraucher für elektronische Kommunikation einsetzen, garantiert jede Menge Durcheinander in der neuen Reklamewelt.

Von deren Gestaltung, resümierte deshalb die Fachzeitschrift Werben & Verkaufen, "sind die Werber genauso weit entfernt wie die Computerspezialisten". Wie groß die Unsicherheit der Branche hierzulande noch ist, zeigte vorige Woche ein Symposium des Burda-Verlages in München, Thema: "Wie wirbt man auf dem Information-Superhighway?"

Statt Antworten waren dort vor allem Platitüden zu haben: "Unser Problem", verkündete etwa Nicholas Negroponte, Chef des Media Lab im Massachusetts Institute of Technology, "ist der Mangel an Imagination."

Daran allerdings scheint es, während große Werbeagenturen noch abwarten, bei kleinen Studios nicht zu hapern. Dort spezialisieren sich Computerexperten auf die elektronischen Netze, die ein internationales Millionenpublikum mit Kraftsprüchen über Schokoriegel oder mit Traumfotos von Traumautos erreichen können.

In Dortmund etwa hat der Internet-Experte Rainer Klute, 33, das Netz-Werbestudio Nads mit gegründet. Die Firma, die mit dem führenden deutschen Internet-Dienste-Anbieter Eunet zusammenarbeitet, wird demnächst im Netz für den Initiativkreis Ruhrgebiet und den High-Tech-Hersteller Rank Xerox werben.

In Berlin plant die Firma Pixelpark einen Online-Dienst mit Musikdatenbanken und elektronischen Pinnwänden, auf denen die Datenreisenden ihre digitalen Botschaften hinterlassen können - und nicht nur sie: Sponsoren, darunter Musikverlage, Getränkebrauer und Sportschuhhersteller, wollen dort ihre Logos plazieren und sich so einer jungen Käuferschicht empfehlen.

Auch auf der Deutschen Datenautobahn (DDA), einem Internet-Service der Frankfurter Software-Firma FSAG, ist Werbung präsent. Dort können Netznutzer den VW Polo einer virtuellen Inspektion unterziehen. Das Internet, schwärmt DDA-Chefin Michaela Merz, sei "das ideale Werbemedium".

Studios wie Nads gehören zu einer neuen Generation kleiner Agenturen, die sich Pionierarbeit vorgenommen haben. In den USA ist davon schon mehr zu besichtigen als hierzulande: Ihr Testgelände finden die Werber weniger in kommerziellen Datendiensten wie CompuServe als vielmehr im wuchernden Internet, das nach jüngsten Schätzungen weltweit 32 Millionen Teilnehmer zählt. Knapp 22 000 Firmen haben sich dort bereits mit Angeboten angesiedelt, jeden Monat kommen nach Schätzungen rund 1000 Firmen hinzu.

So präsentiert der texanische PC-Produzent Dell seinen Katalog zum Blättern und Bestellen am Bildschirm. Und die Hyatt-Hotelkette lockt im Netz mit Wochenend-Sonderofferten.

Anbietergemeinschaften haben sich gebildet, in denen sich Versandhändler, Verlage, Dienstleister und Werbestudios unter einer gemeinsamen elektronischen Adresse zusammenschließen. Beispiele: ein Dienst der kultigen amerikanischen High-Tech-Zeitschrift Wired mit Serviceangeboten von Volvo und Club Mediterranée, das amerikanische Internet Shopping Network mit über 600 angeschlossenen Firmen oder der Computerverbund Norddeutsche Datenautobahn, wo sich Infos der Zeitschrift Geo, die Computer Zeitung oder der SPIEGEL anwählen lassen.

Ausgelöst wurde die Bonanza-Stimmung durch die Erfindung des World Wide Web (WWW) - eines Navigationssystems, das auch weniger computerkundigen Benutzern die Streifzüge durch die Weiten des Internet ermöglicht. Symbole oder Querverweise ("Links") im übermittelten Text genügen dem Datenreisenden, sich mit der PC-Maus durch Katalog- und Bestellseiten aller möglichen Anbieter zu klicken.

Das Internet, befand das amerikanische Wirtschaftsmagazin Business Week, sei ein Muß für alle, "die lernen wollen, wie sie in der 500-Kanäle-Zukunft ein Geschäft machen können". Und Donatus Schmid, Marketingmanager beim Zentraleuropa-Ableger der amerikanischen Computerfirma Sun, begeistert sich: "Die Reichweite des Internet ist größer als die jeder Anzeige."

Die deutschen Top-Werber wollen das noch nicht so recht glauben. Digitale Reklame, meint Jens Putze, Spitzenmanager im Werbekonzern Saatchi & Saatchi, sei zwar "ein heißes Eisen". Doch derzeit fehlten in Deutschland Gesamtkonzepte und Kunden, die mitspielen.

Vor allem mangele es an Kenntnissen, räumt Christof Baron bei Ogilvy & Mather in Frankfurt unumwunden ein: "Kaum einer kennt sich wirklich aus, daher ist der unbestreitbare praktische Nutzen dieser Medien für die Branche wohl noch nicht allen klar."

Die Europäer, so sieht es aus, sind auch hier die Nachzügler. In den USA werden nächstes Jahr immerhin bereits zwölf Prozent der werbetreibenden Firmen in die Datennetze gehen. In Deutschland dagegen stellte das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung nur geringe Bereitschaft fest, die Computernetze anders zu benutzen als für Datenbankrecherchen und den Austausch elektronischer Post. Es gebe halt, klagt Niko Sakakis von der Düsseldorfer Thomas Koch Media, "keine validen Zielgruppendaten".

So ganz stimmt das nicht. Amerikanische Studien förderten - keine sonderliche Überraschung - zutage, daß in den Netzen vor allem die Kundschaft der Zukunft anzutreffen ist: junge Onliner, die über mehr Zeit als Kaufkraft verfügen. Noch.

Internet-Nutzer sind, ergab die Auswertung von elektronisch versandten Fragebögen, in der Mehrzahl männlich (86,5 Prozent), Studenten oder Berufsanfänger im wissenschaftlich-technischen Bereich und im Durchschnitt 30 Jahre alt. Manager, die über den Kauf neuer Computer mitentscheiden, tauchten bei den Stichproben nur als Minderheit von vier Prozent auf.

Genauere Daten wären bequem zu erhalten - durch Werbung im Datennetz. Jetzt schon nutzen viele Reklameanbieter diese Möglichkeit: Sie können genau feststellen, wann, wie oft und wie lange ein Interessent ihre elektronischen Anzeigen betrachtet.

So beobachtet Paper Direct, eine amerikanische Firma für Bürobedarf, im WWW aufmerksam, wie Kunden den farbigen Bildschirmkatalog durchblättern. Wenn sich die Onliner an bestimmten Stellen irritiert zeigen, zum Beispiel durch hektisches Hin- und Herklicken mit der Computermaus, "wird der Katalog im Handumdrehen geändert", sagt ein Firmensprecher. Frank Simon von der Hamburger Firma Pop, die an der Norddeutschen Datenautobahn baut: "Der gläserne Kunde ist technisch bereits Realität."

Hypertext: Gerd Meissner

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