hide random home http://www.kulturbox.de/christo/buch/einlei.htm (Einblicke ins Internet, 10/1995)

KULTURBOX

Virtuelles Parlament
Alle Texte © 1995 KULTURBOX


Seite 1 von 2

Ansgar Klein

Einleitung

Zur Ästhetik der repräsentativen Demokratie

Die Reichstagsverhüllung und das Selbstverständnis
der künftigen Berliner Republik(1)

Der Reichstag, Februar 1987
© Landesbildstelle Berlin

    Die Verhüllung des Berliner Reichstags beginnt nach der bestehenden Planung am 17. Juni 1995 und soll bis zum 23. Juni abgeschlossen sein. Danach ist der verhüllte Reichstag für zwei Wochen zu besichtigen. Das Ereignis wird nicht nur zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland nach Berlin führen, sondern auch das Interesse der nationalen und internationalen Medien auf sich ziehen.

  1. Verhüllungskunst als öffentliche Kunst
  2. Das Medieninteresse ist ein kalkulierter und vielfach bewährter Bestandteil der temporären Aktions- und Verhüllungskunst von Christo und Jeanne-Claude (siehe Werkauswahl: Christo und Jeanne-Claude). Doch die Wahl des spezifischen Objekts verspricht zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit, da sie den Verhüllungsakt mit politischen Bedeutungen auflädt. Der Reichstag ist nicht nur Monument und politisches Symbol der wechselhaften deutschen Demokratiegeschichte(2), sondern auch der künftige Sitz des Parlaments des vereinten Deutschlands. Das internationale öffentliche Interesse gilt daher nicht nur dem Kunstwerk, sondern in gleichem Maße der Art und Weise des Umgangs mit diesem Kunstwerk seitens der politischen Öffentlichkeit in Deutschland.

    Das von Christo und Jeanne-Claude verfolgte Konzept einer temporären Kunst, die gleichwohl durch anhaltende mediale Präsenz fortbesteht, wirkt so auch als ein Impuls fortdauernder politischer Rezeption der Reichstagsverhüllung im Spannungsfeld von Kunst, Symbolik und Politik(3).

    Die politische Dimension der Reichstagsverhüllung spiegelte sich auch in den Schwierigkeiten der Projektrealisation. Kein anderes Projekt des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude(4) hat einen ähnlich langen und hindernisreichen Vorlauf gehabt und vergleichbare Probleme mit sich gebracht (vgl.: Cullen/Volz; Engelniederhammer). Seit 1971 haben sie sich um die Zustimmung des Parlaments bemüht und dabei zwangsläufig ihre Begründungen dem geschichtlichen Wandel des politischen Kontextes - und damit auch dem Wandel der Bedeutung des Reichstages - angepaßt: Galt ihnen der Reichstag bis 1989 als an der Nahtstelle zwischen Ost und West gelegenes Symbol der Teilung Deutschlands, so sahen sie in ihm nach der deutschen Einigung das Symbol deutscher Einheit und eines demokratischen Neuanfangs (vgl.: Schäuble; kritisch zu dessen Deutung Guggenberger).

  3. Die Reichstagsverhüllung als Politikum
  4. Die Bundestagsdebatte am 25. Februar 1994 mündete in einem überraschend klaren Mehrheitsvotum für die Reichstagsverhüllung. Überraschend deshalb, weil Kanzler Helmut Kohl und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Schäuble sich eindeutig gegen die Verhüllung des Reichstages ausgesprochen hatten ( dazu Krautscheid). Die Debatte wurde kontrovers und leidenschaftlich geführt und wirkt weiter nach (davon zeugen die engagierten Stellungnahmen der in diesem Band versammelten Politikerinnen und Politiker). Der Anlaß selber, die Bereitstellung eines Gebäudes für Zwecke der Kunst, stand dabei keineswegs im Zentrum der politischen Diskussion (vgl.: Guggenberger zu den verpaßten Chancen der Diskussion über Politik und Kunst; zu den Kommunikationsproblemen zwischen Kunst und Politik siehe den Beitrag von Fuchs). Auch der touristische Nutzeffekt für die Stadt Berlin kann eher als ökonomisches Begleitargument verstanden werden.

    Das Politikum der Reichstagsverhüllung besteht in dem Diskussionskontext, der die Realisation des künstlerischen Projektes politisch überhaupt erst möglich gemacht hat. Der Fall der Mauer und die deutsche Einheit, schließlich die knappe Entscheidung für Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz des vereinten Deutschland haben den Ausschlag gegeben für die Zustimmung einer Mehrheit der Bundestagsabgeordneten. Die Reichstagsverhüllung ist damit - unabhängig von Werkdeutungen seitens der Künstler - zu einem ihrerseits symbolträchtigen Teil eines Selbstverständnisdiskurses über die Konturen der künftigen Berliner Republik geworden.

    Im Rahmen dieses Selbstverständnisdiskurses kommt dem Reichstag als politischem Symbol eine große Bedeutung zu. Würde die künstlerische Verfremdung der Würde des Reichstages Schaden zufügen, ihn in ironischer Brechung als nationale Institution lächerlich machen? Diese Position wurde am deutlichsten von Wolfgang Schäuble und Burkhard Hirsch vertreten. Oder würde die künstlerische Distanzierung von einem politischen Symbol als ein Zeichen von liberaler Aufgeschlossenheit und zivilgesellschaftlicher Gelassenheit im Umgang mit den politischen Institutionen der repräsentativen Demokratie verstanden werden? Diese Position vertraten etwa Freimut Duve und Peter Conradi.

    Die anhaltende politische Debatte über den Gebrauch politischer Symbole ist zu einer Kontroverse über Symbolpolitik geraten, die sich aus unterschiedlichen "Leitbildern der gesellschaftlichen Entwicklung" begründet (dazu Engelniederhammer; kommentierend zur politischen Diskussion Dieckmann und Siedler). Es stellt sich die Frage, ob das Votum für die Verhüllung des Reichstags vor diesem Hintergrund auch als symbolpolitische Grundsatzentscheidung verstanden werden kann.

  5. Zur Ästhetik der repräsentativen Demokratie
  6. Architektur ist ein wesentlicher Bestandteil der Staatsrepräsentation; sie ist Teil der politischen Symbolik, der Visualisierung und Veranschaulichung staatlicher Macht(5). Da im unmittelbaren Anschluß an die Verhüllung des Reichstages als Kunstereignis dessen architektonischer Umbau erfolgt, konnte dieser Zusammenhang vom Team um Christo und Jeanne-Claude bei seinen Bemühungen um die Zustimmung des Deutschen Bundestages geschickt und mit politischem Gespür genutzt werden. Das Modell des verhüllten Reichstags wurde denn auch zum Bestandteil der Architekturwettbewerbe "Spreebogen" und "Umbau des Reichstagsgebäudes"(6).

    Am Reichstagsumbau entzünden sich ebenfalls hitzige Diskussionen (vgl.: Münkler; Hoffmann; zu den Bezügen mit der Architekturdebatte in Berlin siehe Conradi und Hassemer). Dabei stoßen wir auch hier auf die Wendung ins Grundsätzliche, die schon die Symboldiskussion anläßlich der Reichstagsverhüllung genommen hat. Im Vergleich mit dem erst 1992 in Bonn bezogenen neuen Plenarsaal des Deutschen Bundestages von Peter Behnisch, der als Visualisierung von Transparenz und Offenheit des Parlaments verstanden wird, reibt sich die Kritik an der monumentalen Wucht des Reichstagsgebäudes. Im Streit über das Für und Wider seiner Umgestaltung erfährt vor allem die "Kuppelfrage" einen hohen Stellenwert (vgl.: Cullen; Hoffmann; Münkler; Speth).

    Die "Leichtigkeit des Seins", welche die Anschauung des verhüllten Reichstags als temporäres Kunstwerk bietet, steht im Kontrast zu der symbolpolitischen Zuspitzung der Architektur-Diskussion und bereichert sie um ein Moment, das stil- und mentalitätsbildende Impulse für deren Fortgang geben könnte.

    Sowohl die Bundestagsdebatte über die Reichstagsverhüllung als auch die Architekturdebatte um den Umbau des Reichstages beinhalten kontroverse Deutungen politischer Symbolik und suchen deren öffentliche Anerkennung zu etablieren. Es wäre freilich vorschnell, diese Debatten entweder als Ausdruck teutonischer Schwermut und eines Hanges zum Prinzipiellen oder aber als Beleg für eine problematische Ästhetisierung der Politik mißzuverstehen.


Index Weiter
© 1995 KULTURBOX