Der Reichstag, Februar 1987
© Landesbildstelle Berlin
Das von Christo und Jeanne-Claude verfolgte Konzept einer temporären Kunst, die gleichwohl durch anhaltende mediale Präsenz fortbesteht, wirkt so auch als ein Impuls fortdauernder politischer Rezeption der Reichstagsverhüllung im Spannungsfeld von Kunst, Symbolik und Politik(3).
Die politische Dimension der Reichstagsverhüllung spiegelte sich auch in den Schwierigkeiten der Projektrealisation. Kein anderes Projekt des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude(4) hat einen ähnlich langen und hindernisreichen Vorlauf gehabt und vergleichbare Probleme mit sich gebracht (vgl.: Cullen/Volz; Engelniederhammer). Seit 1971 haben sie sich um die Zustimmung des Parlaments bemüht und dabei zwangsläufig ihre Begründungen dem geschichtlichen Wandel des politischen Kontextes - und damit auch dem Wandel der Bedeutung des Reichstages - angepaßt: Galt ihnen der Reichstag bis 1989 als an der Nahtstelle zwischen Ost und West gelegenes Symbol der Teilung Deutschlands, so sahen sie in ihm nach der deutschen Einigung das Symbol deutscher Einheit und eines demokratischen Neuanfangs (vgl.: Schäuble; kritisch zu dessen Deutung Guggenberger).
Das Politikum der Reichstagsverhüllung besteht in dem Diskussionskontext, der die Realisation des künstlerischen Projektes politisch überhaupt erst möglich gemacht hat. Der Fall der Mauer und die deutsche Einheit, schließlich die knappe Entscheidung für Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz des vereinten Deutschland haben den Ausschlag gegeben für die Zustimmung einer Mehrheit der Bundestagsabgeordneten. Die Reichstagsverhüllung ist damit - unabhängig von Werkdeutungen seitens der Künstler - zu einem ihrerseits symbolträchtigen Teil eines Selbstverständnisdiskurses über die Konturen der künftigen Berliner Republik geworden.
Im Rahmen dieses Selbstverständnisdiskurses kommt dem Reichstag als politischem Symbol eine große Bedeutung zu. Würde die künstlerische Verfremdung der Würde des Reichstages Schaden zufügen, ihn in ironischer Brechung als nationale Institution lächerlich machen? Diese Position wurde am deutlichsten von Wolfgang Schäuble und Burkhard Hirsch vertreten. Oder würde die künstlerische Distanzierung von einem politischen Symbol als ein Zeichen von liberaler Aufgeschlossenheit und zivilgesellschaftlicher Gelassenheit im Umgang mit den politischen Institutionen der repräsentativen Demokratie verstanden werden? Diese Position vertraten etwa Freimut Duve und Peter Conradi.
Die anhaltende politische Debatte über den Gebrauch politischer Symbole ist zu einer Kontroverse über Symbolpolitik geraten, die sich aus unterschiedlichen "Leitbildern der gesellschaftlichen Entwicklung" begründet (dazu Engelniederhammer; kommentierend zur politischen Diskussion Dieckmann und Siedler). Es stellt sich die Frage, ob das Votum für die Verhüllung des Reichstags vor diesem Hintergrund auch als symbolpolitische Grundsatzentscheidung verstanden werden kann.
Am Reichstagsumbau entzünden sich ebenfalls hitzige Diskussionen (vgl.: Münkler; Hoffmann; zu den Bezügen mit der Architekturdebatte in Berlin siehe Conradi und Hassemer). Dabei stoßen wir auch hier auf die Wendung ins Grundsätzliche, die schon die Symboldiskussion anläßlich der Reichstagsverhüllung genommen hat. Im Vergleich mit dem erst 1992 in Bonn bezogenen neuen Plenarsaal des Deutschen Bundestages von Peter Behnisch, der als Visualisierung von Transparenz und Offenheit des Parlaments verstanden wird, reibt sich die Kritik an der monumentalen Wucht des Reichstagsgebäudes. Im Streit über das Für und Wider seiner Umgestaltung erfährt vor allem die "Kuppelfrage" einen hohen Stellenwert (vgl.: Cullen; Hoffmann; Münkler; Speth).
Die "Leichtigkeit des Seins", welche die Anschauung des verhüllten Reichstags als temporäres Kunstwerk bietet, steht im Kontrast zu der symbolpolitischen Zuspitzung der Architektur-Diskussion und bereichert sie um ein Moment, das stil- und mentalitätsbildende Impulse für deren Fortgang geben könnte.
Sowohl die Bundestagsdebatte über die Reichstagsverhüllung als auch die Architekturdebatte um den Umbau des Reichstages beinhalten kontroverse Deutungen politischer Symbolik und suchen deren öffentliche Anerkennung zu etablieren. Es wäre freilich vorschnell, diese Debatten entweder als Ausdruck teutonischer Schwermut und eines Hanges zum Prinzipiellen oder aber als Beleg für eine problematische Ästhetisierung der Politik mißzuverstehen.