hide random home http://www.kulturbox.de/christo/buch/glaser.htm (Einblicke ins Internet, 10/1995)

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Hermann Glaser

Ästhitizismus als Entethisierung der Politik

1941 Angriff eines russischen Soldaten
© Panin-Alpert/Voller Ernst

Die Frage, welche Eigenschaften er bei einem Mann/einer Frau am meisten schätze, beantwortete Christo Javacheff im Fragebogen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit: "Aufrichtigkeit". Verabscheuen würde er dagegen "Engstirnigkeit". Und sein Motto lautet: "Kunst ohne Fesseln".

Meinerseits aufrichtig gesagt: Die Verhüllung des Berliner Reichstages und der redundante Diskurs darüber berühren mich kaum. Ich finde die demnächst verwirklichte Idee - pack das nationale Wahrzeichen ein! - ganz nett, auch wenn mir das derart verschnürte Paket etwas groß vorkommt; Künstler sind im Kleinen oft viel größer. Die Kosten (Ausgangssumme zehn Millionen Dollar) irritieren mich nicht; sowohl betriebs- wie volkswirtschaftlich kommt da, von der Stoff-Anfertigung bis zum Medienrummel, vom Getränke-Umsatz bis zur Hotelbelegung sicherlich mehr rein, als man investieren muß. Da zudem die im industriellen Produktionssektor gegebene strukturelle Arbeitslosigkeit u.a. dadurch bekämpft werden muß, daß man auf dem Humanmarkt die Beschäftigungsmöglichkeiten verstärkt, möchte ich das Motto ausgeben: Laßt viele Christos blühen! Gerade Großartigkeiten bewirken willkommene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Was das künstlerische Ergebnis betrifft, so schätze ich es - aufrichtig gesprochen - nicht sehr hoch ein. Christo tat oft Gutes und sprach darüber; man weiß inzwischen, was er wie macht; und daß er es (handwerklich) gut macht. Ich wundere mich, daß die Kunstkritik so enthusiasmiert einen Mann lobt, der inzwischen sein eigener Epigone geworden ist. Aber da er immerhin 22 Jahre hinter dem Reichstag her war, sei der "wrapped Reichstag" ihm gegönnt. Und den Parlamentariern sei gegönnt, daß sie ihre ästhetische Toleranz wie urbane Weltläufigkeit oder ihre Besorgnis um die Würde der Politik demonstrieren. Wie aber steht es um das ästhetisch-ethische Engagement, wenn es um das Gute, Wahre und Schöne bei wesentlichen Fragen des deutschen Selbstverständnisses geht?

Das ästhetisch-ethische Engagement bei Christos Anhängern und Gegnern halte ich für übertrieben, wenn etwa bei den Anhängern die Reichstagsverhüllung als angemessener ästhetischer Ausdruck eines verfassungspatriotischen Selbstverständnisses verstanden wird. Die ästhetisch-ethische Reflexion exponiert Christos Reichstagsverhüllung zu einer Zeit, in der im Fahrwasser einer ästhetizistischen Weltsicht der Postmoderne sich eine Entethisierung des Politischen im intellektuellen Diskurs auszubreiten beginnt. Der exemplarisch von mir herangezogene Testfall ist die neuerliche Aufwertung von Ernst Jünger. Es lohnt sich, diesen Kontrast durch einen Rückblick auf einzelne Ausführungen Jüngers zu verdeutlichen.

"Der wahre Wille zum Kampf jedoch, der wirkliche Haß hat Lust an allem, was den Gegner zerstören kann. Zerstörung ist das Mittel, das dem Nationalismus allein angemessen erscheint." (Jünger) Natürlich hat Zeit-Ablauf die menschenverachtende Aggressivität dieses Schriftstellers, der heute vor allem Philosopheme absondert und wie die Opfer seiner Käfersammlung in Tagebüchern aufspießt, entrückt. "Bei Hundert verweht." Aber warum die höchsten politischen Weihen für einen soldatisch-nationalistischen Schreibtischtäter, der seine fatalen früheren Positionen und Emanationen nie revidierte oder revozierte?

"Im gleichen Maße..., in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu können, unvollziehbarer werden, und er wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet: in Deutschland entweder Jude zu sein oder nicht zu sein." (Jünger 1930: 108)

Und warum politisches Schweigen angesichts der Jünger-Renaissance und der in ihr sich bekundenden Entethisierung der Ästhetik? Zunehmend verfällt zudem ehemals kritische Intelligenz in verquasten Enthusiasmus, wenn sie - von der Anämie neuer Unübersichtlichkeit heimgesucht - aufs Starke, Große, Stahlharte stößt - so etwa Karl Heinz Bohrer: "In Stahlgewittern - Das Abenteuerliche Herz - Auf Marmorklippen - Blätter und Steine - Gärten und Straßen - Strahlungen: Phänomenalität, nicht Ideen. Man liest und hört die Titel und ist, wenn man will, in eine Bilderwelt von eigentümlich opalener Färbung hineingezogen. Die künstlerisch-kalte Fassung der Naturmetapher wechselt mit einem einfachen Impuls der Naturanschauung und der subjektiven Bewegung. Das soll nicht mit Tiecks Worten heißen: hier sei alles Musik, `denn Gedanken stehn zu fern'. Es soll heißen, hier wird von einem Vorstellungzentrum her, das der Dichter `magisch' nannte, alles entwickelt, und ideologische Stellen bleiben da Leerstellen". (Bohrer 1995 a) Die Hommage ans abenteuerliche Herz - der "Fall Jünger" exemplarisch verstanden - ist Teil eines anschwellenden Bocksgesangs, der inmitten eines behaupteten "demokratischen Mittelmaßes" ans neue deutsche Selbstbewußtsein sich wendet. Jünger als nationaler Nothelfer?

"Wir schätzen keine langen Reden, eine neue Hundertschaft ist uns wichtiger als ein Sieg im Parlament. Zuweilen feiern wir Feste, um die Macht geschlossen paradieren zu lassen und um nicht zu verlernen, wie man Massen bewegt. Schon erscheinen zu diesen Festen Hunderttausende. Der Tag, an dem der parlamentarische Staat unter unserem Zugriff zusammenstürzt, und an dem wir die nationale Diktatur ausrufen, wird unser höchster Festtag sein." (Jünger 1925: 151)


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