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Virtuelles Parlament
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Herfried Münkler

Sichtbare Macht

Das Reichstagsgebäude als politisches Symbol

4. Der Reichstag: Kein symbolträchtiger Ort ruhmvoller Parlamentsgeschichte

Als Winston Churchill 1941 in den Trümmern des von deutschen Bomben zerstörten Unterhauses stand, ordnete er an, das Gebäude solle genau so wieder aufgebaut werden, wie es vor seiner Zerstörung gewesen sei (Améry 1965: 63). Der eine oder andere in Deutschland mag sich ähnliches für den Reichstag gewünscht haben, und doch zeigt gerade der Vergleich mit dem zerstörten Parlamentsgebäude von Westminster, daß dies gerade beim Reichstag nicht möglich war. Zunächst ist, im Unterschied zu Westminster, der Reichstag keineswegs der symbolträchtige Ort einer ruhmvollen Parlamentsgeschichte, die durch eine originalgetreue Rekonstruktion des Gebäudes im kollektiven Gedächtnis der politischen Gemeinschaft bewahrt bleiben müßte: Während des Kaiserreichs war er nur sehr bedingt ein Zentrum politischer Macht, da weder der Reichskanzler noch die Regierung durch ihn gewählt wurde und ihm nur das Budgetrecht zukam; und während der Weimarer Republik, als er tatsächlich zum Zentrum politischer Macht wurde, diente er ab Beginn der dreißiger Jahre den Nazis (und anderen) als Plattform für politische Demonstrationen, die auf die Zerstörung der parlamentarischen Ordnung zielten. Schon lange bevor Reichspräsident Hindenburg schließlich Hitler zum Reichskanzler ernannte, hatte sich der Reichstag als Zentrum der politischen Macht selbst aufgegeben, insofern es ihm nicht mehr gelang, eine auf einer parlamentarischen Mehrheit beruhende Reichsregierung zu bilden(3). Im Wechselspiel von Notverordnungen und Reichstagsauflösung verlagerte sich die Macht aus dem Parlament heraus an andere Stellen: zum Reichspräsidenten, zur Bürokratie, zum Militär, auf die Straße. Schon die oft beschworene Formel, Bonn sei nicht Weimar(4), steht der Symbolik eines umstandslosen Anknüpfens an die Zeit zwischen 1919 und 1930 entgegen.

Der Selbstentmachtung des Parlaments als Vorspiel zur nationalsozialistischen Machtergreifung folgte die Zerstörung des Gebäudes: zunächst durch den Brand im Februar 1933, dessen Urheber nach wie vor umstritten sind (Backes u.a. 1986), und schließlich in den schweren Kämpfen gerade um den Reichstag bei der Eroberung Berlins durch die Rote Armee Ende April 1945. Es ist in der Retrospektive erstaunlich und schwer nachvollziehbar - aber für die Sowjets war nicht Hitlers Reichskanzlei, sondern das Reichstagsgebäude das symbolische Zentrum Berlins und des Großdeutschen Reichs (Read/Fisher 1995: 679 ff.)

- vielleicht weil es zur Festung vermauert und mit Maschinengewehren bestückt zu einem Symbol der Gewalt im oben beschriebenen Sinn geworden war -, und so konnte die Rote Fahne auf dem Dach des Reichstags, unbeschadet dessen, daß das berühmte Bild am Tag nach der Eroberung des Gebäudes nachgestellt worden ist, zum Symbol der endgültigen Bezwingung Nazi-Deutschlands werden. Die Ruine des Reichstagsgebäudes mit dem Kriegsschrott auf dem Königsplatz davor wurde neben den Luftaufnahmen zerbombter Städte zum Symbol der totalen Niederlage Deutschlands. Gut drei Jahre später bildete die Ruine des Reichstags dann die Kulisse für die berühmte Rede Ernst Reuters gegen die sowjetische Blockade des Westteils der Stadt und wurde so mit einer weiteren Symbolik aufgeladen, zu der schließlich noch die Vereinigungsfeier am 3. Oktober 1990 hinzutrat.

5. Verlagerung der gründungsmythischen Symbolik

Mit dem Beitritt der fünf neuen Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, und damit dem staatsrechtlichen Ende der DDR, gewann auch eine andere mit dem Reichstag verbundene Symbolik wieder an Bedeutung, die vordem nur noch von historischem Interesse gewesen war: die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstags, die am 9. November 1918 in unmittelbarer Konkurrenz stand zur wenige Stunden danach erfolgten Ausrufung der sozialistischen Republik durch Karl Liebknecht vom Berliner Stadtschloß aus. Mit dem Einbau des Schloßportals, von dem aus Liebknecht gesprochen hatte, in das Staatsratsgebäude hatte die DDR diesem Akt eine nachträgliche symbolische Bedeutung verliehen und ihn zu einer Art Gründungsmythos stilisiert. Mit dem 3. Oktober 1990 hat sich die gründungsmythische Symbolik zu Scheidemann und damit zum Reichstag zurückverlagert: Hier und nicht am Stadtschloß war die Richtung visioniert worden, in die sich Deutschland politisch entwickeln sollte(5).

6. Das politische Symbol Deutschlands

Man wird also sagen können: Wie an keinem anderen Ort Deutschlands spiegeln sich im Berliner Reichstagsgebäude die Höhepunkte und Katastrophen der deutschen Geschichte seit der durch Bismarck vollzogenen Reichseinigung. So ist der Reichstag das politische Symbol Deutschlands, auch und gerade bezüglich der darin zum Ausdruck kommenden Widersprüche und Ambivalenzen. Paul Wallot hatte sich in seinem Entwurf darum bemüht, die Widersprüche und Ambivalenzen, denen er sich angesichts der späten Nationalstaatsbildung in Deutschland gegenübersah, zu glätten und auszugleichen: Das Gebäude durfte nicht klassizistisch sein, denn das wäre zu preußisch gewesen; es durfte nicht im Stil des Barock errichtet werden, denn das wäre zu katholisch gewesen; staufische Spätromantik wäre zu wilhelminisch, deutsche Renaissance zu bürgerlich gewesen. Wallots Stil suchte die gemeinsamen Wurzeln der deutschen Kultur im humanistischen Bezug zu Antike und Renaissance (Buddensieg 1994: 76) und vermied es, die verschiedenen Lokalstile zu kombinieren. Nicht in der Addition des Unterschiedlichen, sondern in der Herausarbeitung des Gemeinsamen wollte er die nationalstaatliche Identität Deutschlands verkörpert wissen. Dazu kam mit den beiden Reitern über der Ostfassade und den Kaiserskulpturen in der den Abgeordneten vorbehaltenen südlichen Eingangshalle (Cullen 1990: 16 und 283) die mythisch-ikonische Anknüpfung des von Bismarck gegründeten Reichs an die Reichstradition des Mittelalters, die hier in nationalgeschichtlicher Perspektive aus- und umgedeutet wurde. Dieser Kontinuitätsbeschwörung im Inneren stand in der Denkmalslandschaft des Königsplatzes vor der westlichen Hauptfassade mit dem Bismarck- und dem Moltkedenkmal - sowie der Siegessäule dazwischen - die Betonung der Neugründung in ihrer spezifisch preußischen Prägung gegenüber. Die Zusammenfügung des Divergenten und Widersprüchlichen war in die Symbolik des Reichstags also von vornherein eingeschrieben.

In Anbetracht der Fülle der Umsymbolisierungen seit der Einweihung des Gebäudes konnte der Reichstag und seine Umgebung nicht in der ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt werden. Eine Orientierung an der Anordnung Churchills zur originalen Wiederherstellung von Westminster war nicht möglich. Das 1990 vereinigte Deutschland hat sicherlich Kontinutätslinien zu dem durch Bismarck gegründeten Reich, aber ebenso Brüche und Distanzen. Worauf es somit ankommt, ist die "Aufhebung" der deutschen Geschichte der letzten hundert Jahre in der Symbolik des Gebäudes, sowohl hinsichtlich ihrer guten wie ihrer schlimmen Seiten. Der Blick auf Wallots Entwurf und die Ausgestaltung des Gebäudes zeigt, daß dieses Problem keines ist, das sich mit dem Reichstagsgebäude erst jetzt aus dem Rückblick der neunziger Jahre verbindet. Im Gegenteil - es war ihm von Anfang an eingeschrieben. Das Reichstagsgebäude war von Anfang an ein komplexes Symbol, und es ist auch die seitdem stattgehabte deutsche Geschichte noch komplexer geworden. Sicherlich ist es nicht immer leicht, sich dieser Komplexität zu stellen, aber es kann davon nicht, genausowenig wie in der Historiographie, irgendeinen Dispens geben.

Solchen Dispens hätte die Rahmungs- und Zitatarchitektur der ursprünglichen Umgestaltungsentwürfe dargestellt. Es ist gut, daß sie nicht zum Zuge gekommen sind, so wie es auch gut ist, daß in der Mitte der Gebäude wieder eine Kuppel gebaut wird. Wallot hatte auf ihr gegen erhebliche Bedenken des Kaisers bestanden: Sie war für ihn architektonischer Ausdruck für die Würde und Macht des hier tagenden Parlaments. Die Kuppel des Reichstags machte den Kuppeln des Stadtschlosses wie des Domes den Anspruch auf die höchste Macht und Würde streitig. Auch wenn das Stadtschloß heute nicht mehr existiert - es gab und gibt keinen Grund, von diesem Anspruch abzurücken. Macht bedarf, soll sie sichtbar werden, der Symbole. Daß das Unsichtbarlassen der Macht besonders demokratisch sei, ist ein verbreitetes Mißverständnis. Der Reichstag bildet nicht zuletzt auch aus Anlaß seiner Verhüllung die Möglichkeit, dem entgegenzuarbeiten.


    (1)Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Macht und Gewalt folgt der vonHannah Arendt vorgeschlagenen Unterscheidung, wonach Macht aus dem Zusammenhandeln von Menschen resultiert, das begründet ist auf ihrer Übereinstimmunghinsichtlich gemeinsamer Ziele, dem Wissen um eine gemeinsame Aufgabe in der Gegenwart und der Erinnerung an gemeinsames Handeln in der Vergangenheit. Machthat ihren Zweck somit in sich selbst. Gewalt dagegen ist instrumentell, ein Mittel,das zu Zwecken eingesetzt wird, die ihm nicht inhärent sind, sondern von außenvorgegeben werden. Macht erwächst aus der Fähigkeit und Bereitschaft von Menschen, gemeinsam zu handeln; Gewalt kennt solche Voraussetzungen nicht (vgl. Arendt, 1970:45f.)

    (2)Offenkundig ist die öffentliche Diskussion über Lage und Gestalt des Reichstags inden siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit größererIntensität geführt worden als die jüngste Debatte über die Umgestaltung (vgl.Cullen: 85ff.). Das sollte hinsichtlich der üblichen selbstzufriedenen Kontrastierungvon autoritärem Kaiserreich und demokratischer Republik zu denken geben. DieKritiker des Fosterschen Glasdachs und anschließend seiner ersten Kuppelkonstruktionen haben, was auch immer die Motive ihrer Kritik gewesen sein mögen, dem demokratischen Leben einen größeren Dienst erwiesen, als diejenigen, dieFosters Entwürfe guthießen, bloß weil sie anders waren als der historische Reichstag.

    (3)Das ist der Grund, warum Arthur Rosenberg seine Darstellung der Weimarer Republik mit dem Jahre 1930 und der Bildung der ";Brüning-Diktatur"; hat enden lassen(Rosenberg 1961: 210).

    (4)Die Formel geht zurück auf den Titel eines Buches von Fritz René Allemann (Köln 1956).

    (5)Scheidemann beendete seine improvisierte Ansprache mit den Worten: ";Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe dieDeutsche Republik!"; (Schulze: 1982).


Literatur zu Münkler

    Allemann, Fritz René; 1956: Bonn ist nicht Weimar, Köln 1956

    Améry, Jean 1965: Winston S. Churchill. Ein Jahrhundert Zeitgeschichte, Luzern-Frankfurt/M. 1965

    Arendt, Hannah 1970: Macht und Gewalt, München

    Backer, Uwe u.a. 1986: Reichstagsbrand - Aufklärung einer historischen Legende. Mit einem Vorwort von Louis de Jong, München

    Buddensieg, Tilman 1994: Berliner Labyrinth, Berlin

    Cullen, Michael S. 1990: Der Reichstag. Geschichte eines Monumentes, Stuttgart

    Dieckmann, Friedrich 1995: Wege durch die Mitte. Stadterfahrungen, Berlin

    Grünberger, Hans 1996: Raubvogel und kaiserliches Wappentier. Laster- und Tugendkataloge in der Karriere des Adlers als Herrschaftssymbol in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (im Erscheinen), voraussichtlich Heidelberg

    Münkler, Herfried 1994: Politische Bilder. Politik der Metaphern, Frankfurt/M.

    Münkler, Herfried 1995: Die Visibilität der Macht und die Strategien der Machtvisualisierung, in: Gerhard Göhler (Hrsg.): Öffentlichkeit der Macht, Macht der Öffentlichkeit (im Erscheinen), Baden-Baden

    Read, Anthony/Fisher, David 1995: Der Fall von Berlin. Aus dem Englischen von H.W. Baadke u.a., Berlin

    Rosenberg, Arthur 1961: Geschichte der Weimarer Republik, hrsg. von Kurt Kersten, Frankfurt/M.

    Schulze, Hagen 1982: Weimar. Deutschland 1917-1933, Berlin

    (Der Autor)

    Münkler, Herfried, geb. 1951, Dr. phil., Professor für Politikwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin.

    Veröffentlichungen: Machiavelli.
    Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt/M. 1982, 31990; Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 1987; Siegfrieden. Politik mit einem deutschen Mythos (zusammen mit Wolfgang Storch), Berlin 1988; Odysseus und Kassandra. Politik im Mythos, Frankfurt/M. 1990, 21991; Gewalt und Ordnung. Das Bild des Krieges im politischen Denken, Frankfurt/M. 1992; Hobbes zur Einführung, Frankfurt/M. 1993. Politische Bilder, Politik der Metaphern. Frankfurt/M. 1994 (Fischer TB).


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