Februar 1987
© Landesbildstelle, Berlin
Die Sichtbarmachung von Macht ist infolge der Uneindeutigkeit dessen, was sichtbar wird, immer auch ein Kampf um die Macht selbst, bei dem zwei oder mehrere Parteien in entgegengesetzter Absicht dasselbe versuchen: Macht sichtbar werden zu lassen bzw. sichtbar zu machen (Münkler 1995). Stets ist die Sichtbarmachung von Macht deswegen eingelassen in einem Konflikt um Symbole und ihre angemessene Deutung. Auch das unterscheidet Macht und Gewalt: Erstere muß in ihren Symbolen verstanden, gedeutet und interpretiert werden, sie ist für Mißdeutungen und Mißverständnisse stets anfällig; Gewalt dagegen ist unmißverständlich und eindeutig. Gewalt bedarf darum auch nicht der symbolischen Repräsentation, sondern wird in ihrem instrumentellen Charakter unvermittelt sichtbar. Man kann freilich die Mittel der Gewalt auch demonstrativ vorzeigen und sie dadurch in Symbole verwandeln, etwa wenn man bei Paraden Panzer und Raketen durch die Straßen rollen läßt. Im allgemeinen wird dies als eine Machtdemonstration bezeichnet, aber es ist nicht Macht, die gezeigt wird, sondern es sind Instrumente der Gewalt, und allenfalls wird man sagen können, daß hier eine Macht anzeigt, gegebenenfalls auch auf die Instrumente der Gewalt zurückgreifen zu können. Insofern kann auch das instrumentelle Gewaltpotential der Panzer und Raketen zum Symbol werden, und zwar ebenso in affirmativ-selbstrepräsentativer wie in polemisch-denunziatorischer Absicht. Sobald die Gewalt die Eindeutigkeit des Instrumentellen verläßt und symbolisch wird, unterliegt sie denselben Ambivalenzen der Symbolisierung wie die Macht selbst. So wurden die Panzer nach der Niederwerfung des Prager Frühlings ebenso zum Symbol sowjetischer Außenpolitik wie auch die Bombenteppiche abladenden B-52 auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges amerikanische Südostasienpolitik symbolisierten. In beiden Fällen schlug das zum Symbol gewordene Instrument kritisch auf die Gewaltanwender zurück.
Daß die Visualisierung von Macht in Symbolen, auch wenn es sich bei ihnen nicht um symbolisch gewordene Gewaltinstrumente handelt, politisch fast immer konfliktträchtig ist und selten einmütig erfolgt, resultiert u.a. auch daraus, daß mit der Wahl der Symbole eine Entscheidung über das Selbstverständnis des Gemeinwesens getroffen wird, daß in ihnen festgehalten wird, wie man die eigene Vergangenheit sieht, was man von der Zukunft erwartet und was davon für das Verständnis der jeweiligen Gegenwart, das gegenwärtige Selbstverständnis, als mehr oder weniger bedeutsam anzusehen ist. In der Symbolisierung von Gemeinwesen und Herrschaftsbereichen durch (Raub-)Tiere etwa lassen sich eine Fülle von Beispielen hierfür finden (Grünberger 1986; Münkler 1994).
Wenn Macht im Unterschied zur Gewalt im Prinzip unsichtbar ist und es zu ihrer Visualisierung der Symbole bedarf, dann kann kein Gemeinwesen auf Dauer ohne Symbole auskommen bzw. es kann dies nur, wenn es sich ausschließlich auf Gewalt stützt und sich durch ihre permanente Anwendung der eigenen Existenz versichert. Aber selbst dann ist, wie die sowjetischen Panzer und die amerikanischen Langstreckenbomber zeigen, nicht auszuschließen, daß diese Gewalt als Symbol seiner politischen Identität durch andere verstanden und verwendet wird. Immerhin, Gewalt kann, auch wenn dies politikgeschichtlich nur selten und allenfalls in der Gründungs- oder Zerfallsphase eines Herrschaftsgebildes vorkommt, ohne Symbole auskommen; sie kann symbolfrei exekutiert werden. Macht dagegen kommt bestenfalls für eine begrenzte Zeit ohne Symbole aus. Dabei handelt es sich in der Regel um Zwischenphasen, denen in historischer Perspektive eine Brücken- und Verbindungsfunktion zukommt. So können revolutionäre Zukunftserwartungen zeitweise Defizite in der politischen Symbolik eines Gemeinwesens kompensieren, doch die Geschichte der europäischen Revolutionen zeigt auch, daß dann sehr bald die Zukunft symbolisch aufgeladen wird oder aber ihre baldige Einholung zum symbolischen Verständnis der Gegenwart gerät. Auch Trauerarbeit, die der Vergangenheit zugewandt ist, kann zeitweilig gegenwärtige Symboldefizite kompensieren, indem sie die gescheiterten Symbole der Vergangenheit be- und abarbeitet. Die zerschlagenen Adler des Großdeutschen Reiches und die zertrümmerten Hakenkreuze in ihren Krallen wurden zu Symbolen der totalen Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands, und sie haben in Deutschland zeitweilig den Platz einer affirmativen Selbstsymbolisierung eingenommen. Aber ebensowenig wie Zukunftserwartung kann Trauerarbeit für sich allein auf Dauer gestellt werden, denn entweder verlieren, wenn die Trauerarbeit gelingt, die Symbole der Vergangenheit mehr und mehr ihre Bedeutung und machen Platz für neue Symbolisierungen, oder aber sie gewinnen ihre alte Macht zurück - und dann holt die Vergangenheit die Gegenwart ein. Beispiele für Symbolkompensation durch Zukunftserwartung bzw. mehr oder minder mühselige Trauerarbeit lassen sich in der Geschichte der beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1989 wohl hinreichend finden.
Die Bundesrepulik Deutschland war und ist, verglichen mit ihren europäischen Nachbarn, ein eher symbolarmer Staat. Das war durchaus konsequent in Anbetracht ihres in der Präambel des Grundgesetzes festgeschriebenen provisorischen Charakters. In dem Maße freilich, in dem sich das Bewußtsein des Vorläufigen und Provisorischen seit den sechziger Jahren allmählich verlor und die Bonner Republik nicht mehr als Zwischenetappe der deutschen Geschichte, sondern eher als sicherer Hafen nach Irrfahrten und schließlichem Scheitern angesehen wurde, wuchs auch die Neigung zur symbolischen Repräsentation des eigenen Gegenwarts- und Selbstverständnises. Doch die Symbole, in denen das Selbstverständnis der alten Bundesrepublik bis 1989 und teilweise auch noch danach seinen Niederschlag fand, waren eher dem bemerkenswerten wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik und weniger ihrem politischen Selbstverständnis entnommen. Die Selbstrepräsentation in materiellen Gütern, vor allem der affirmative Bezug zur D-Mark als wichtigstem Symbol eines neuen Deutschlands, markierte zugleich wohltuend den Abstand zu einer Vergangenheit, die man gerne loswerden wollte und die durch Kriegsanleihen, Inflation und Devisenzwangsbewirtschaftung gekennzeichnet war. Genuin politische Symbole waren dagegen anfälliger für die Vergegenwärtigung des Vergangenen, das in den meisten dieser Symbole mittransportiert wurde, auch wo sie vom Reichs- zum Bundesadler umgestaltet worden waren. Das wird vorerst so bleiben: Mercedesstern und harte D-Mark, Touristenströme und der statistische Bierkonsum pro Kopf und Jahr werden den Deutschen als Symbole ihrer Identität auf absehbare Zeit näher sein als genuin politische Symbole, seien dies Verfassungstag oder Tag der deutschen Einheit, Bundestag oder Berliner Reichstag. Auf die Symbolisierung politischer Macht glaubt man verzichten zu können, so lange man über hinreichend Symbole wirtschaftlicher Macht verfügt. Die Etikettierung als wirtschaftlicher Riese, der ein politischer Zwerg ist, welche der überwiegenden Mehrheit der Deutschen lieb und wert geworden ist, zeigt sich auch in der symbolischen Selbstrepräsentation.
Gleichwohl gilt für die beiden Nachkriegsdeutschlands wie für das
vereinigte Deutschland, daß Defizite an Symbolen politischer Macht im
oben skizzierten Sinn - die freilich in der DDR ungleich geringer waren als in
der alten Bundesrepublik - nicht Indikatoren politischen
Selbstbewußtseins und demokratischer Stärke sind. Das zeigte sich
zuletzt bei der jüngsten Debatte über die bauliche Umgestaltung des
Reichstags: Zum einen fand sie als öffentliche Debatte, als Debatte, an
der die politisch Repräsentierten teilhaben und in die sie eingreifen -
und das heißt: als öffentlich ausgetragener Konflikt
unterschiedlicher Positionen zur spezifischen Symbolisierung des eigenen
Selbstverständnisses - gar nicht statt; sie wurde der scheinobjektiven
Kompetenz einer Jury von "Fachleuten" überwiesen, so als würde es
sich bei der Wahl und Gestaltung politischer Symbole um eine Frage handeln, bei
der es "Fachleute" und "Laien" gäbe(2). Zum anderen war die Jury der
Fachleute mit der ihr übertragenen Aufgabe offenkundig überfordert.
Die Preisentscheidungen liefen grundsätzlich darauf hinaus, das politische
Symbol Reichstag in seiner Widersprüchlichkeit und Ambivalenz - die ihm
infolge der seit seiner Einweihung im Jahre 1894 mit ihm verbundenen und durch
ihn repräsentierten deutschen Geschichte eigen ist - dadurch
entschärfen, daß sie es in ein architekturgeschichtliches Zitat
verwandelten: Sie stellten ihn unter ein haltestellenähnliches Glasdach,
wie Norman Foster, drückten ihn, indem sie eine erhöhte Plattform
darvorstellten, in den Untergrund, wie Pi de Bruijn, oder miniaturisierten ihn
unter einer gewaltigen Überwölbung aus Glas, wie Santiago Calatrava
(Dieckmann 1995: 149 ff.; Buddensieg 1994: 74 ff.).
Daß die Selbstrepräsentation eines Gemeinwesens durch politische
Symbole etwas anderes als ein internationaler Architekturwettbewerb ist, konnte
angesichts des Defizits an politischer Symbolik hierzulande offenbar leicht
übersehen werden. Die durch die Rahmung bewirkte Miniaturisierung des
Reichstags zum bloßen Zitat wäre zu einer anderen Variante von
"Entsorgung der Vergangenheit" geworden, womöglich gegen die Absicht der
Initiatoren, aber erheblich folgenreicher, weil glatter, als dies Ernst Nolte
und seine Bemühungen um die deutsche Geschichte je vermocht hätten.