© 1995 by Christo & Luebbe Verlag
Im Bonner Hotel Maritim: Während Christo das Bundestagshandbuch
studiert,
vereinbart Wolfgang Volz Termine mit Abgeordneten
Foto: Sylvia Volz
Spiegel: "Richtig, und genau damit ist Ihrem Projekt doch das politische Thema abhanden gekommen."
Christo: "Im Gegenteil. Früher war der Reichstag nur eine leere historische Hülle. Durch die Wiedervereinigung hat er sich mit Bedeutung gefüllt. Mit ihm verknüpft sind jetzt wichtige zeitgeschichtliche Fragen wie: Wo stehen wir eigentlich? Was wird mit Deutschland und der Welt passieren?".
Eröffnung der Christo-Ausstellung durch Rita Süssmuth, Volker Hassemer und Wolf-Dieter Dube im Marstall. Frau Süssmuth sagt:
"Lieber Christo,
Frau Ministerin,
meine Herren Senatoren,
Herr Generaldirektor,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
es konnte keinen besseren Zeitpunkt geben für die Eröffnung dieser Ausstellung und für Christos erneuten Besuch in Berlin. Danke, daß Sie gekommen sind, und Sie wissen, es gibt viele, die von Ihrem Vorhaben in Berlin und von Ihrem bisherigen künstlerischen Werk begeistert sind. Ich gehöre auch dazu.
Und ich möchte hinzufügen, daß es ein einmütiger Beschluß der Mitglieder des Preisgerichtes war, die heute morgen im Berliner Reichstag tagten, die Sitzung zu unterbrechen, um an dieser Ausstellungseröffnung teilzunehmen. Das bekundet deutlich das Interesse, das an Ihrer Ausstellung und an Ihrem Vorhaben besteht. Und ich möchte hinzufügen, daß, wie man den Medien entnehmen kann, das Interesse der New Yorker für diese Ausstellung, aber auch für das Reichstagsgebäude und seine Neugestaltung generell sehr groß ist.
Ihr Interesse an dem Reichstagsgebäude ist jedoch sehr viel älter. Bereits 1971 haben Sie diese Idee entwickelt, in einer historischen Situation, in der die Haltung zu diesem Gebäude sehr ambivalent und unsicher war. Es symbolisierte auch die offene deutsche Frage. Als z.B. damals der Architekt Baumgarten den Wettbewerb zum Umbau des Reichstages gewann, wurde in den Ausschreibungsunterlagen der Begriff Reichstag nicht einmal verwendet, um Irritationen vorzubeugen. Sie haben sich durch die unsichere Situation nicht verunsichern lassen, sondern waren immer überzeugt, daß dies ein herausgehobenes Bauwerk ist, und daß es sich lohne, um die Verwirklichung Ihrer Reichstagsidee zu ringen. Wenn jemand zwanzig Jahre nicht abläßt, einen Plan mit Beharrlichkeit zu verfolgen, dann ist es nicht eine flüchtige, fixe Idee, sondern ein Konzept, das in zwanzig Jahren auch noch durchdachter und reifer wurde. Wem stünde es mehr zu, es heute verwirklichen zu können, als dem Mann, der zwanzig Jahre kontinuierlich an dieser Verwirklichung gearbeitet und dafür geworben hat und es nun verbinden kann mit einer veränderten Situation, die wir uns in Deutschland noch zu wenig bewußt machen. Diese Stadt und dieses Land sind erst durch die Menschen befreit worden und dieses Befreiungsgefühl müßte uns eigentlich viel stärker erfassen. Es gibt auch keinerlei Ambivalenzen mehr in bezug auf das Reichstagsgebäude. Es ist entschieden, daß es der Sitz des Deutschen Bundestages wird.
Der Zeitpunkt Ihres Umhüllungsprojektes läge vor Beginn des Umbaus und wäre ein kulturelles Ereignis. Es einmalig und gleichzeitig eine gelungene Verbindung von Kunst und Politik. In diesem Zusammenhang ein Wort zur Kultur in Berlin, denn eine herausragende kulturelle Bedeutung hatte Berlin nicht nur in den zwanziger Jahren. Wenn wir z.B. als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den siebziger Jahren zu Symposien, Tagungen usw. nach Berlin kamen, war es für uns immer wichtig, die Arbeit und das Kulturelle zu verbinden, von dem großen Kulturangebot Berlins zu profitieren.
So wie die einen kräftig für die Olympiade in Berlin werben, so denke ich, ist es genauso wichtig, dafür zu werben, daß dieses künstlerisch-kulturelle Ereignis, das weit über Berlin hinaus seine Bedeutung, seine Wirkung und seinen Resonanzboden haben kann, stattfindet. Diejenigen, die immer wieder sagen, wir könnten doch z.B. Mauerreste oder häßliche Bauten umhüllen und damit etwas Unschönes verstecken, damit wären sie einverstanden, denen möchte ich entgegnen: Um genau das geht es nicht. Es geht nicht um Verstecken, sondern um Herausheben.
Es geht nicht darum, etwas gleichsam in einem Racheakt mit Verpackung zu umgeben, wie ohnehin der Begriff Verpackung nicht zutreffend ist, sondern vielmehr im Deutschen von Verhüllung gesprochen werden soll. Es geht hier - und ich möchte noch einmal wiederholen, was Christo gestern abend gesagt hat und was auch Michael Cullen in vielen Gesprächen immer wieder betont -, es geht hier nicht um Abwertung, sondern um Hervorhebung, um tief empfundene Pietät.
Was passiert bei der Verhüllung? Sie ist ein Stück Verwandlung und dient zugleich der Schärfung der Wahrnehmung. Sie ist aber auch - so Christo - ein sozialer Akt, in dem diejenigen, die die Verhüllung als erste konzeptionell begleiten, in Kontakt treten mit denen, die während des gesamten Projektes mitarbeiten. Die Öffentlichkeit, die Medien, Interessenten, Unterstützer wie Gegner werden informiert und sprechen darüber. Diejenigen, die die Umhüllung technisch ausführen, sind involviert. Sie alle werden neugierig auf das, was man bisher nicht wahrgenommen hatte, oder was man jetzt verändert sieht, was durch die Verhüllung eine andere Qualität bekommt.
Ich möchte schließen mit einem Dank an den Direktor und an die Kulturstiftung. Ich wünsche mir sehr, daß alle diejenigen, die heute zur Ausstellungseröffnung gekommen sind, für Sie und das Projekt zu werben, daß es eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit findet, auch wenn sicherlich nicht alle zustimmen, denn es wäre ja auch verheerend, wenn gerade im Bereich der Kunst alle einer Meinung wären. Darum muß und darf auch kontrovers gestritten werden. Aber das Kunstobjekt möglich zu machen, das ist zunächst das Wichtigste. Ich bin dafür. Ich bin vielleicht nicht die Mehrheit, aber ich bin überzeugt, daß wir die Mehrheit in den Gremien des Deutschen Bundestages gewinnen werden. Ich glaube, dies ist der richtige Zeitpunkt, vor dem Umbau den Reichstag zu umhüllen und damit ein Berliner, ein bundesdeutsches, ein internationales Ereignis zu schaffen. Ich wünsche Ihnen und uns, daß Sie auch mit dieser Ausstellung der Entscheidung entschieden näher kommen im Gespräch mit denen, die darüber zu entscheiden haben. Und ich lebe einfach von der Überzeugung, wir schaffen es, wenn wir es gemeinsam wollen.
Vielen Dank.".
Am gleichen Tag findet ein Abendessen im Hause von Roland Specker statt. Anwesend sind: Frau Prof. Dr. Süssmuth, Peter Conradi, Dietmar Kansy, Dieter Biefhoff, Dr. Thomas Läufer, Dr. Hans-Jürgen Heß, Christo, Michael S. Cullen, Wolfgang Volz, Sylvia Volz, Josy Kraft, Torsten und Kris Lilja, Carl Flach, Leila Voigt, Yannik Piel und natürlich das Ehepaar Specker.
Rita Süssmuth beim Abendessen im Haus von Renate und Roland Specker in
Berlin, 7. Januar 1993
Foto: Wolfgang Volz
Ernst Seidel schreibt an CDU-Generalsekretär Peter Hintze.
Christo erhält Kulturpreis der B.Z. im Hause der Komischen Oper. Zu später Stunde nimmt er an der Talkshow von Wim Thoelke, "Talk-Thoelke", teil, zusammen mit u.a. Frau Süssmuth und dem ehemaligen Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling, der sich vorsichtig für das Projekt ausspricht, wenn es den Steuerzahler wirklich nichts kostet.
Das Christo-Team lernt Sabine Saphörster kennen, die Frau Süssmuth begleitet hat; Frau Saphörster wird Christo in den nächsten Monaten sehr behilflich sein. Christo und Jeanne-Claude fahren mit Frau Süssmuth zum abgesperrten Teil des Flughafens Tempelhof, wo eine Maschine für die Bundestagspräsidentin bereitsteht. Sie beginnen, wirklich Freunde zu werden; nochmals wird beteuert, welche große Priorität das Projekt genießt.