Eine neue Generation von Implantaten soll nun entwickelt werden, um Nervengewebe an mehr Kontaktpunkten zu erregen beziehungsweise eine größere Zahl von Nervensignalen räumlich und zeitlich zu erfassen. Damit ließen sich neuronale Funktionen besser verstehen und eventuell sogar ausgefallene ersetzen.
Dazu benötigt man, wie "Spektrum der Wissenschaft" in seiner Juni-Ausgabe berichtet, neuartige Verfahren der Mikromechanik. Strukturen, die oft nur tausendstel Millimeter groß sind, stellte man bislang meist mit Techniken der Chip-Fertigung her, also aus dem starren Silicium. Für den Einsatz im Körpergewebe ist aber Nachgiebigkeit erforderlich. So lassen sich winzige Leiterbahnen und Elektroden aus leitfähigem Silikonkautschuk auf ineinander greifenden Fingerstrukturen aus nichtleitendem aufbringen. Der Prototyp des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik in St. Ingbert hat zweimal vier Finger mit ebensovielen Elektroden. Das Material steht zum Teil unter Zugspannung, so daß sich die Finger von selbst krümmen, dabei ineinandergreifen und den Nerv umschließen. Weil die Elektroden erhaben sind, ist die eigentliche Berührungsfläche nur klein, und ein Nerv würde wenig verletzt. Zudem könnten Stoffwechselprodukte durch die Zwischenräume diffundieren, was die Regeneration des Gewebes nach der Operation unterstützen dürfte.
Derartige Forschungsarbeiten werden wohl bald vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie im großen Stil gefördert. Zu den Schwerpunkten wird dann vermutlich auch die Netzhaut-Prothese zählen. Jedes Jahr verlieren etwa 2500 Menschen in Deutschland ihr Augenlicht, mitunter schädigt eine Krankheit aber nur die Photorezeptoren; signalweiterleitende Strukturen, Sehnerv und Signalverarbeitung im Gehirn sind dann nach wie vor intakt. Ein Implantat zur Stimulation der Netzhaut könnte solchen Patienten Lebensqualität zurückgeben.
Dazu müssen Mikrokontaktstrukturen aber hochelastisch sein und dürfen kaum Gewebereaktionen hervorrufen, während sie gleichzeitig tieferliegende Bereiche erreichen sollten. Verschiedene Bauformen wie Filamente, also fadenartige Erhöhungen, konische und netzartige Strukturen mit ihren kleineren Kontaktflächen kämen in Frage.
Im Rahmen eines Projekts der Europäischen Union entwickelt das Fraunhofer-Institut auch eine implantierbare Schnittstelle, die langfristig als sogenanntes "Intelligentes Neuronales Interface" zwischen peripheren Nerven und externer Elektronik - zum Beispiel zum Ansteuern künstliche Gliedmaßen - eingesetzt werden soll. Zwischen den operativ getrennten Enden eines peripheren Nervs wird dazu eine Silicium-Chip mit siebartiger Membran implantiert, um deren Löcher Mikroelektroden aufgebracht wurden. Die Siebplatte soll in einem Polyurethan-Schlauch fixiert werden, der als Führungskanal für die wieder aussprossenden Nervenfasern dient.
Die elektrischen und elektrochemischen Eigenschaften dieser Vorrichtung werden gegenwärtig untersucht. Sicherlich darf niemand erwarten, daß damit durch Unfall oder Krankheit verlorengegangene neuronale Fähigkeiten wiederherzustellen seien. Aber die Steuerung künstlicher Gliedmaßen könnte damit in nicht zu ferner Zukunft gelingen.
Die vollständige Sammlung von Artikeln mehrerer Autoren finden Sie auf den Seiten 90 bis 102 in der Juni-Ausgabe 1995 von Spektrum der Wissenschaft.