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Horst Bredekamp

Eine Laudatio:

Das Werk von Christo und Jeanne-Claude als Beitrag zur Zusammenführung von Kunst und Wissenschaft(1)

Der Autor bei der Laudatio, 6 Mai 1995
Foto: © Barbara Herrenkind

  1. Verkehrte Logik
  2. Der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät III faßte den Beschluß zur Verleihung des doctor honoris causa an Christo und Jeanne-Claude auf seiner Sitzung vom 27.3.1995 einstimmig, nachdem er die auswärtigen Gutachten von Frau Prof. Monika Wagner (Hamburg), Herrn Prof. Tilman Buddensieg (Berlin) und Herrn Prof. Franz-Joachim Verspohl (Jena) angenommen hatte. Der Akademische Senat bekräftigte dieses Votum auf seiner Sitzung vom 25.4.1995.

    Die Fakultät hat ihren Beschluß gefaßt, noch bevor absehbar war, welches Ausmaß an Interesse die Ehrung hervorrufen würde. Sie hätte ihn auch getroffen, wenn sie dies hätte vorausahnen können, denn ein zäh errungener Erfolg sollte kein Hinderungsgrund für Auszeichnungen sein. Die Würdigung gilt Christo und seiner Frau Jeanne-Claude, ohne deren intellektuelles und organisatorisches Vermögen und ohne deren unausschöpfbare Energie das Gesamtwerk nicht zu denken wäre.

    Die Ehrenpromotion kann für herausragende wissenschaftliche, künstlerische und kulturelle Leistungen, die mit der Fakultät im weitesten Sinn im Zusammenhang stehen, verliehen werden.

    Trotz dieser Bestimmung hat es vereinzelt Fragen gegeben, warum die 1994 neu gegründete Philosophische Fakultät III ihre erste Ehrenpromotion an ein Künstlerpaar verleiht. Man kann es sich einfach machen und antworten, daß die Ehrung von Künstlern im Sinne der höheren Einheit von Kunst und Wissenschaft eine Normalität darstellt. So tragen eine Reihe bedeutender Künstler den Titel eines doctor honoris causa: der Komponist Ligety den der Universität Hamburg, der Maler Schumacher den der Universität Dortmund. An der Humboldt-Universität wurden sowohl Adolf Menzel als auch Max Liebermann mit dem doctor honoris causa geehrt.

    Aber natürlich gab es auch inhaltliche Vorbehalte. Ein Denkmal, so wird immer wieder vorgebracht, wird verborgen, um am Tag der Einweihung enthüllt zu werden. Die Verhüllung eines bereits bekannten Monumentes verkehre diesen Vorgang auf unsinnige Weise insofern, als sie den unbedeutenden Hilfsschritt in ein Primärziel verwandele. Christo und seine Frau Jeanne-Claude würden hierauf jedoch antworten, daß dieses Argument das Produkt einer kulturellen Verengung ist, die "Verhüllen" nur mehr als "Verpacken" kennt und die das Ausgepackt- und Verfügbargemachtwerden als das alleinige Telos jedes Gegenstandes begreift.

  3. Die Kunst der Verhüllung
  4. Christo ist in Bulgarien aufgewachsen, also in einer byzantinisch geprägten Welt, in der das sakrale Bild und seine kultische Inszenierung seit der Spätantike fortlebte. Zeichen dieser behutsamen Bildverehrung sind die Ikonostasen, Bilderwände, die den Blick abschirmen, um das Auge nicht ohne Vorbereitung und Erlaubnis auf die Ikone im Inneren des Altarraumes fallen zu lassen. Eine subtilere Steuerung des Verlangens, die Heilsmacht von Ikonen zu erblicken, lag in ihrer offenen Verbergung durch Schleier: Schimmernd waren die Formen des Bildes noch zu erkennen, ohne daß man sie ganz wahrnehmen konnte. Vom Wind bewegt, schienen sie sich auf nicht steuerbare, übernatürliche Weise darzubieten oder zu entziehen.

    Dasselbe wird von Schleiern vor Gnadenbildern in der alten Petersbasilika in Rom und anderen Orten auch im Westen berichtet. In seinem Malereitraktat begründet Leonardo die Einzigartigkeit großer Malerei mit dem Wechselspiel von Verhüllen und Entblößen: "Sehen wir nicht die großmächtigsten Könige des Orients verschleiert und verhüllt einhergehen, weil sie glauben, sie minderten ihren Ruhm und Ansehen, indem sie ihre Gegenwart öffentlich und vulgär machen? Nun wohl, sieht man nicht ebenso die Malereien, welche Bilder heiliger Gottheiten darstellen, fortwährend verhüllt gehalten, mit Decken von sehr hohem Preis verhüllt?" Dies galt auch in Deuschland. Der 1517/18 geschaffene Englische Gruß von Veit Stoß, eines der großen skulpturalen Werke der deutschen Spätgotik, war dadurch inszeniert, daß er durch einen riesigen, bemalten Sack verhüllt und nur an bestimmten Feiertagen frei zu sehen war.

    Zahllose weitere Beispiele könnten verdeutlichen, daß Christo mit seinen Verhüllungen an derartige, seit der Spätantike in die christliche Kultur eingeführte Stoffsymbolik anknüpft. Sie überführt einen Gegenstand oder Körper durch Ver- und Enthüllen aus der Semantik des Alltäglichen in eine Zone der Aura, des Festes und der Zeremonie.

    Daß es überhaupt eine christliche Kunst gibt, hat wesentlich mit einem Tuch zu tun. Das Christentum ist seiner urchristlichen Definition nach bildlos, und es waren starke Legenden notwendig, um die Existenzberechtigung der Bilder zu begründen. Kein Motiv hat dies überzeugender vertreten können als das sogenannte Veronikabild, jenes Schweißtuch, das Christus beim Gang nach Golgatha angeblich auf das Gesicht gelegt und in das sein authentisches Abbild abgedrückt worden war. Es ist die Urform des Gottesbildes, auf puren Stoff eingetragen, der dann wieder in die Fläche zurückgespannt wurde.

    Christos Verhüllungen spielen mit diesem Gedanken, aber nicht, um durch diesen Abdruck im Tuch ein Bild zu erhalten, sondern um die Stoffhülle um den Gegenstand zu schnüren und sie damit in einer dreidimensionalen, skulpturalen Eigenschaft zu halten. Der sakralste Bildstoff, das Tuch, legt sich über alltägliche oder landschaftliche Gebilde, um sie in eine neue Form zu bringen und mit jener auratischen Verfremdung zu versehen, die in der gesamten christlichen Bildtradition zur Erhöhung der religiösen Heilsmittel eingesetzt worden war.


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