KULTURBOX

Virtuelles Parlament
Alle Texte © 1995 KULTURBOX


Seite 2 von 2

Ansgar Klein

Einleitung

4. Politische Symbolik, symbolische Politik, Symbolpolitik

Politische Symbole sind Gegenstand des Deutungsstreits der Symbolpolitik. Im Zentrum der symbolpolitischen Diskussion steht die Frage nach den angemessenen Formen der Staatsrepräsentation (vgl.: von Beyme), nach dem Verhältnis von Ästhetik und Politik (vgl.: Bubner; Glaser) und den Kriterien demokratischer symbolischer Repräsentation (vgl.: Meyer; Sarcinelli).

Politische Symbole werden aber auch als Mittel der Politik instrumentalisiert. In diesem Fall handelt es sich, folgen wir den Definitionsbemühungen der politischen Theorie, um symbolische Politik (vgl.: Meyer; Sarcinelli). Die Verhüllung des Reichstages kann als Instrument symbolischer Politik Verwendung finden, insofern in der identitätspolitischen Kontroverse zwischen nationaler Identität und Verfassungspatriotismus (s.u.) auf sie Bezug genommen wird. Doch handelt es sich hierbei gewissermaßen um einen Sonderfall: Die ästhetische Verfremdung eines politischen Symbols kann selber zum politischen Symbol einer bestimmten symbolpolitischen Strategie werden und dient dieser dann als Argument(7). Bei der politischen Diskussion über die Reichstagsverhüllung haben wir es daher mit dem Paradebeispiel einer Verschränkung von Symbolpolitik und symbolischer Politik zu tun.

Symbolische Politik operiert vorrangig im Felde medialer Aufmerksamkeit. Die Reduzierung auf das vordergründig Sichtbare entspricht der Selektivität der Massenkommunikation, insbesondere der Television. Deren visuellen Kriterien kommt die spektakuläre Verhüllung des Reichstages in idealer Weise entgegen.

Skeptiker sehen in der Reichstagsverhüllung ohnehin nur einen weiteren Beitrag zu einem insgesamt bedenklichen Trend der Ästhetisierung der Politik (vgl.: Glaser) oder aber ein selbstbezügliches ästhetisches Symbol, das sich nahtlos in eine allgemeine Tendenz der Ästhetisierung der Lebenswelt fügt: Könnte es sich bei der Reichstagsver-hüllung nicht einfach um eine selbstreferentielle ästhetische Symbolik handeln, die mit einem großen Aufwand appellativer Begleitrhetorik eine medial verstärkte Massenresonanz erfährt? (vgl. Bubner)

Gegenüber dieser skeptischen Position gilt es jedoch auf die Bedeutung hinzuweisen, die symbolischer Politik insgesamt in der Politikvermittlung zukommt. Sie dient einer unvermeidbaren Komplexitätsreduktion mit Hilfe von Symbolen, Ritualen, Images und geläufigen Schemata.

Der ambivalente Charakter symbolischer Politik läßt sich gleichwohl nicht leugnen: Sie ist zugleich eine Form der politischen Kommunikation, auf die eine in ihren operativen Handlungsspielräumen strukturell beschränkte Politik zum Zwecke der theatralischen Behauptung von Problemlösungskompetenzen immer häufiger zurückgreift. In den Prozessen der Politikvermittlung verstärken sich mediale Selektivität und eine strategisch arrangierte Politikdarstellung.

5. Verweisungssymbole - Verdichtungssymbole

Insofern die symbolische Repräsentation von Politik den rationalen Nachvollzug von komplexen Zusammenhängen und Problemlagen, von Verläufen der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung nicht versperrt, spricht der Fachjargon von "Verweisungssymbolen". Der Überschuß an Bedeutungen und Deutungen, der symbolischer Politik insgesamt eigen ist, sowie die Eigendynamik symbolischer Visualisierung in der Medienkultur führen jedoch zu einer symbolischen Verdichtung politischer Kommunikation. Sie steht in steigendem Maße in der Gefahr, sich abkzukoppeln von einem möglichen rationalen Nachvollzug ihrer Entscheidungsgründe. Eine mit "Verdichtungssymbolen" operierende Politikdarstellung erschließt sich häufig nur noch dem für dramaturgische Handlungslogiken und Inszenierungstechniken sensibilisierten Blick.

Theatralisierung, "Als-ob-Politik" und ein ästhetisch-ikonischer Diskurs (vgl.: Meyer) erschweren strukturell einen rationalen Verweisungszusammenhang symbolischer Politik in der Medienkultur der repräsentativen Demokratie. Hier ist in der Tat Skepsis angebracht. In einem 1994 noch für Bundespräsident Richard von Weizsäcker angefertigten Bericht wird die Wirkung des Fernsehens in der Medienkultur äußerst kritisch als Schritt zurück zu einer von Inszenierung und Ritual bestimmten "Höfischen Öffentlichkeit" beschrieben. Gegen eine eindimensionale, verfallslogische Sicht der Entwicklung der Medienkultur, die die zunehmende Dominanz eines instrumentellen Einsatzes symbolischer Politik im Sinne von inszenierter "Als-ob-Politik" befürchtet, lassen sich freilich auch die noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten zur Ausbildung von Medienkompetenz bei den Rezipienten anführen (vgl.: Sarcinelli).

Im Kontext von symbolischer Politik bleibt unter diesen Bedingungen die Rezeption der Reichstagsverhüllung prekär. Es muß sich erst erweisen, ob sie jenseits eines Medienspektakels auch als öffentlichkeitswirksamer Beitrag der ästhetischen Anschauung zur reflexiven Wahrnehmung von Symbolpolitik aufgefaßt werden wird, wie ihn der politische Diskurs und die theoretische Auseinandersetzung hervorheben. Es mag freilich auch sein, daß allein das nachwirkende Ereignis eines im ästhetischen Glanze verfremdeten politischen Symbols zu einem unterschwelligen mentalen Wandel des Umgangs mit politischer Symbolik beiträgt (vgl.: Schoerken). Daß ein solcher mentaler Wandel bereits weit fortgeschritten ist, zeigt der Entscheidungsprozeß im Deutschen Bundestag zur Reichstagsverhüllung. Die symbolpolitische Überfrachtung mit nationalem Pathos war nicht mehrheitsfähig (vgl.: Krautscheid).

6. Politische Symbolik und das Selbstverständnis der künftigen Berliner Republik

Politische Symbole sind Bestandteil des gemeinsamen Zeichenvorrats einer politischen Gemeinschaft (vgl.: Hoffmann). Sie verweisen auf die für die politische Gemeinschaft grundlegenden Gemeinsamkeiten an Überzeugungen und Werten. Mit der Wahl der Symbole entscheidet sich immer auch das Selbstverständnis eines Gemeinwesens (vgl.: Diner; Voigt). Daher bedarf auch die Demokratie - entgegen eines verbreiteten Mißverständnisses (dazu Münkler) - der Anschauung und symbolischen Repräsentation dessen, was das politische Gemeinwesen an Traditionen, Gemeinschaftserfahrungen und Überzeugungen verbindet. Daher erweist sich das demokratische Procedere im Streit über die ästhetischen Formen der Staatsrepräsentation als Beitrag für eine demokratische Symbolpolitik, die selber eine prinzipielle Unabgeschlossenheit der Sinndeutung symbolisiert.

7. Geschichtserfahrung und der Wandel politischer Symbolik

Die politische Indienstnahme politischer Symbolik durch den Nationalsozialismus (dazu Schoerken; Voigt) hatte in der Nachkriegszeit in der westdeutschen Republik ein tiefsitzendes Mißtrauen gegen politische Inszenierungen und symbolische Politik überhaupt zur Folge. Politische Selbstdarstellung zog sich auf das Prinzip der Nüchternheit zurück. Nationales Pathos war schon aus diesem Grund zunehmend diskreditiert. Die sozialintegrative Kraft des wirtschaftlichen Aufschwungs und des sozialstaatlichen Ausgleichs wurde in den ersten Jahren der Bonner Republik zum bestimmenden Prinzip der Staatsrepräsentation (dazu von Beyme). Hinzu kam seit den sechziger Jahren freilich auch eine steigende Akzeptanz demokratischer Grundwerte und politischer Streitkultur. In der DDR blieben dagegen die unverhohlene Inszenierung von Ritualen und Symbolpolitik Bestandteile des politischen Standardrepertoires der Einparteienherrschaft. Sie mußten den fehlenden ökonomischen Erfolg zunehmend kompensieren und ideologischen Konsens suggerieren.

Mit der deutschen Einheit besteht auch für die politische Kultur der künftigen Berliner Republik ein großer Bedarf an Gemeinsamkeiten in Zeichenvorrat und Symbolbezügen. Die groben Linien der auf das Selbstverständnis der künftigen Berliner Republik gerichteten Deutungsversuche haben sich bereits in der Debatte über die Reichstagsverhüllung im Deutschen Bundestag abgezeichnet. Der nationalstaatlichen Deutung steht die postnational-verfassungspatriotische Deutung entgegen.

Der Verfassungspatriotismus setzt mit seiner Deutung von demokratischer Identität auf das Selbstbewußtsein und den Stolz des Bürgers angesichts der ihm garantierten Rechts- und Verfahrensspielräume (vgl.: Voigt). Er ist in seiner Akzentuierung des Kognitiven arm an affektiven Bindungskräften. Die identitätspolitische Option des Nationalismus vermag demgegenüber starke affektive Bindungskräfte freizusetzen. Sie birgt aber auch das prinzipielle Risiko der Eskalation von Abgrenzungsprozessen. Nicht nur die Risiken der Abgrenzung gegenüber "den anderen", sondern auch die Tatsache, daß der Nationalstaat angesichts der Herausforderungen des europäischen Prozesses und der weltweiten Interdependenzen immer weniger angemessene Lösungen bereit zu stellen vermag (vgl.: Diner)., bedeuten für die nationale Variante der Identitätspolitik eine nicht unerhebliche Hypothek.

In seiner Rede zum 50. Jahrestag der Wiederkehr des 8. Mai 1945 in der Frankfurter Paulskirche hat der Sozialphilosoph Jürgen Habermas zwei Lesarten der Geschichte skizziert, die nach 1989 Revisionen der Geschichtsdeutung vornehmen. Beide verlagern die geschichtliche Wendezeit von 1945 auf 1989.

Die nationalgeschichtliche Deutung sieht in der deutschen Einigung eine Rückkehr zur Normalität der Nationalstaatlichkeit. Die andere Lesart relativiert auf den Spuren Carl Schmitts und Ernst Noltes die Zeit des Nationalsozialismus als Entgleisung in einem Szenario des Weltbürgerkrieges zwischen Bolschewismus und okzidentalem Bürgertum. Die Umdeutung und Neujustierung der Geschichte zielt wie alle Geschichtsdeutung auf das Selbstverständnis der politischen Gemeinschaft (vgl.: Diner; Rühle).

8. Kunst und Politik

Die Reichstagsverhüllung erfolgt eher zufällig 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Dieser Zufall kann als ein glücklicher bezeichnet werden. Als Kunstwerk entzieht sie sich den Zwängen einer organisierten Erzählung, die Anknüpfungen und Verbindungen aufsuchen muß. Kunst, so Habermas in seiner Paulskirchen-Rede, kann anders als die narrativ strukturierte Geschichte einen Neuanfang wagen. Dies macht das reizvolle Spannungsfeld zwischen der ästhetischen Spontaneität der Verhüllung und den historischen Tiefenschichten aus, die dem Reichstag als einem politischen Symbol eingeschrieben sind (vgl: die Beiträge von Pohl, Schmädeke; Üeberschär, Cullen, Heß/ Nawrocki).

Die Verhüllung als politisches Symbol überschreitet die Limitierungen nicht nur der geschichtlichen Erzählung, sondern auch die einer bloß temporären Kunst. Sie könnte auch zukünftig als Bezugspunkt des kollektiven Gedächtnisses wirken. Die Verhüllung könnte zu einem bleibenden Bestandteil des Reichstages als Kollektivsymbol geraten (vgl.: Speth). Ob dies im Sinne einer "reinigenden" Transformation hin zur "Normalität" des Nationalstaates oder aber als ästhetische Versinnbildlichung eines Neuanfangs postnationaler politischer Identitätsbildung sich auswirken wird, muß dem offenen Deutungs-prozeß vorbehalten bleiben.


    (1)Der Text gibt einen gestrafften Überblick über den editorischen roten Faden des Sammelbandes. Alle Klammerangaben verweisen auf Texte von in diesem Buchvertretenen Autoren. (Für kritische Anmerkungen und konstruktive Hinweise dankeich Kai-Uwe Hellmann.)

    (2)In Rußland ist der Reichstag noch heute Symbol des Sieges über den Nationalsozialismus. Jüngst wurde aus Anlaß des 50. Jahrestages des alliierten Sieges über Nazideutschland eine Briefmarke aufgelegt, die das Reichstagsmotiv darstellt (Ueberschärin diesem Band).

    (3)Die Verhüllungsobjekte von Christo und Jeanne-Claude führen ihr Eigenleben alsreproduzierte Kunstobjekte in Form von Büchern, Skizzen, Fotobänden, Zeichnungen etc. Die Bezeichnung der Verhüllungskunst als temporäre Kunst ist insofern unzutreffend, als sie deren mediale Langzeitpräsenz nicht einschließt. Es handeltsich hier um ein interessantes Lehrstück über das Zusammenspiel von medialer Reproduzierbarkeit der Kunst, Mechanismen des Kunstmarktes und einer darauf spezifisch ausgerichtenen Kunstkonzeption. Diese Faktoren hinterlassen in ihrem Zusammenwirken Erinnerungsspuren im ästhetischen Gedächtnis.

    (4)Ohne die organisatorische Rückendeckung seiner Ehefrau hätte Christo seine aufwendigen Projekte nicht realisieren können. Die Verhüllungskunst entzieht sichnicht nur in ihrer Konzeption als öffentliche Aktionskunst, sondern auch in ihrerSituierung an den Schnittstellen von Malerei, Architektur, Technik und Wissenschaft(dazu Bredekamp; zu den Bezügen der Verhüllungskunst zum Theater sieheMaaßen/Marx/Pfaff) einer konventionellen Sparteneinteilung von Kunst. In einereingespielten Teamarbeit können Christo und Jeanne-Claude daher, so auch das Selbstverständnis des Künstlerpaares, als gleichwertige gemeinsame Urheber der Verhüllungsobjekte gelten.

    (5)Die sinnliche Anschauung gilt seit den Anfängen der klassischen Philosophie als einMoment der Erkenntnis. In seiner "Kritik der reinen Vernunft" hat Kant sie als deren unhintergehbare Voraussetzung beschrieben. Die Einheit des "Wahren, Guten und Schönen", von Erkennntnis, Ethik und Ästhetik, findet sich nicht nur als Giebelspruch an der Frankfurter Alten Oper, sondern kennzeichnet insgesamt das humanistische Bildungsideal. Die ästhetische Anschauung, der Genuß des Schönen, mobilisiertdemgemäß nicht nur die affektive Macht der Gefühle, sondern vermag diese in dieBahnen rationaler Erkenntnis zu leiten (vgl.: Glaser). Insbesondere der Faschismus mit seiner demagogischen Instrumentalisierung politischer Symbole, die Walter Benjamin als "Ästhetisierung der Politik" beschrieben hat, hat dieses harmonische Einheitskonzept ästhetischer Anschauung erschüttert. Das Mißtrauen gegenüber jeglicher politischen Ästhetik besteht seitdem fort ( vgl.: Glaser).

    (6)Münkler kritisiert in diesem Band die einsamen Entscheidungen dieser Jurys überöffentliche Angelegenheiten der Staatsrepräsentation.

    (7)Bernhard Claußen spricht von einer "Metaästhetisierung" im Sinne einer "ästhetischen Verfremdung eines an sich bereits ästhetischen Gebildes"; siehe dazu den vonder Kulturbox Berlin parallel zum vorliegenden Buch als Diskette herausgegebenen umfangreichen Beitrag des Autors: Die Reichstagsverhüllung als Stimulus des politischen Lernens? Über den kritischen Umgang mit Parlamentarismus durch Kunst, Berlin 1995 (im Erscheinen)


    Zurück Index
    © 1995 KULTURBOX