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© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Chronologie des Reichstags-Projektes
November - Dezember 1993
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8. November 1993:
Christo und Heribert Scharrenbroich werden in den
Räumen der Rhein-Zeitung in Koblenz gemeinsam interviewt. Am
Telefon diskutiert man mit Thomas Läufer über weitere
Strategiegespräche. Um 14.00 Uhr ein Interview mit Herrn Buchholz von der
Zeitschrift SFB-Radio-Journal. Christo spricht mit Peter Radunski.
9. November 1993:
Christo spricht auch mit CDU-MdB Thomas Kossendey, ein
loyaler Freund des Projekts. Vielleicht wird das Projekt in der
Fraktionssitzung besprochen werden. Christo führt außerdem ein
Gespräch mit CDU-MdB Dr. Hans Stercken.
10. November 1993:
Nach vielen vergeblichen Versuchen ist endlich ein
Gespräch mit dem Mitglied des ältestenrats, CSU-MdB Eduard Oswald,
möglich. Herr Oswald bittet auch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos dazu.
Bei beiden wird spürbar, daß sie Schwierigkeiten mit der Beurteilung
von Christos Arbeit als ernstzunehmende Kunstwerke haben; dies wird auch beim
Gespräch mit CSU-Mitglied Herrn Wolfgang Zeitlmann deutlich. Eine
Präsentation des Projekts in der Parlamentarischen Gesellschaft findet
unter etwas magerer Beteiligung seitens der Abgeordneten statt.
11. November 1993:
CDU-MdB Dr. Ulrich Janzen bedauert in einem Brief an
die Projektleitung, daß er das Projekt nicht unterstützen kann.
12. November 1993:
Das Christo-Team führt im Hause der Berliner
Landesvertretung ein Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister
Eberhard Diepgen. Er verspricht auf massives Drängen von Jeanne-Claude
etwas aktiver zu werden. Danach trifft sich das Team mit Thomas Molnar. Er und
seine Büromannschaft sind Feuer und Flamme für das Projekt und
beginnen sofort aktiv mitzuarbeiten. Innerhalb von 30 Minuten arrangiert er ein
weiteres Treffen mit folgenden CDU-Kollegen seiner Etage: Ulrich Petzold,
Reiner Krziskewitz und Dr. Manfred Lischewski. Nach dem Gespräch geben
Herr Petzold und Herr Krziskewitz dem Fernsehteam von BBC, welches Christo
begleitet, ein Interview, in dem sie übereinstimmend sagen: "Den Reichstag
verpacken: nein. Den Reichstag verhüllen: durchaus ja."
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Gespräch mit Mitgliedern der CDU-Bundestagsfraktion am 12. November
1993
Von links nach rechts: Jeanne-Claude, Manfred Lischewski, Thomas Molnar,
Reiner Krziskewitz, Christo, Ulrich Petzoldt
Foto: Wolfgang Volz
15. November 1993:
Eberhard Diepgen erklärt zur
Reichstagsverhüllung: "Vor vier Jahren hätte ich mich noch
zurückhaltender geäußert. Heute meine ich: Laßt Christo
den Reichstagsbau verhüllen."
16. November 1993:
Cullen eröffnet zusammen mit der
stellvertretenden Chefredakteurin Georgia Tornow eine Ausstellung von
Christo-Plakaten im Foyer des Hauses der Berliner Zeitung am Alexanderplatz.
17. November 1993:
Diepgen erklärt gegenüber der Bild,
daß er "fürs Verhüllen" sei.
18. November 1993:
Die Neue Zeit schreibt gegen das Projekt:
"Diepgen kann einpacken."
22. November 1993:
Ab 8.30 Uhr begleitet Dominik Wichmann von der
Berliner Zeitung die Christos durch Bonn. Interview mit dem schwedischen
Fernsehen. Volz spricht mit Thomas Läufer. Es folgen ein Vortrag und ein
Mittagessen in der Bundesarchitektenkammer; anwesend sind u.a. das ehemalige
MdB Dietrich Rollmann, der viel für Christo tun will, und Prof. Gerhart
Laage, ehemaliger Präsident der Kammer, der bei dem Votum der beiden
Juries für die Wettbewerbe Spreebogen und Reichstagsumbau eine positive
Rolle gespielt hat.
Am gleichen Tag findet im Hause der Saarländischen Landesvertretung ein
Treffen mit Oskar Lafontaine statt, das durch den Künstler Klaus Staeck
ermöglicht wurde. Lafontaine bringt auch Grüße von Scharping,
der wie er für das Projekt sei. Ein vorgesehenes Gespräch mit der
Bündnis 90/Grünen-Gruppe findet wegen mangelnden Interesses nicht
statt. Auf Einladung des Niedersächsischen CDU-Landesgruppenchefs
Klaus-Jürgen Hedrich macht Christo eine Präsentation vor der
Landesgruppe. Anwesend sind u.a. die MdB Kansy, Pflüger und Köhler.
Man ist allgemein begeistert und das Echo in Parlamentarierkreisen ist sehr
positiv.
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Christo zeigt Oskar Lafontaine seinen Katalog, 22. November 1993
Foto: Wolfgang Volz
24. November 1993:
Gespräch mit Peter Harry Carstensen, CDU-MdB aus
Nordstrand. Er wird eine weitere wichtige Stütze des Projekts. Abends
hält Christo einen Vortrag im vollbesetzten Saal der Dortmunder
Architekturfakultät auf Einladung von Jürgen Sawade.
25. November 1993:
Für 9.15 Uhr ist ein Termin mit dem ehemaligen
Innenminister Rudolf Seiters, jetzt CDU-MdB für Oldenburg, angesetzt. Die
Vermutung, daß er dem Projekt eher skeptisch gegenübersteht,
bestätigt sich. Er verspricht allerdings am Ende des Gesprächs,
über das Vorhaben nachzudenken und das Team von dem Ergebnis seiner
Überlegungen zu unterrichten.
Um 11.00 Uhr ein Interview mit RTL für die Sendung
"Zwölf-Uhr-Mittags" im Studio Köln. Abends hält Christo einen
Vortrag in der vollkommen ausverkauften Stadthalle von Gladbeck.
Christo hat eine Mappe mit Presseberichten über das Projekt für
Bundeskanzler Kohl zusammengestellt, die er Thomas Läufer im Rahmen eines
Gesprächs in dessen Büro übergibt. Läufer leitet die Mappe
an das Kanzleramt weiter.
26. November 1993:
Um 10.00 Uhr wird ein Gespräch mit Dietrich
Austermann geführt. Abends eine Führung durch die
Pont-Neuf-Ausstellung für Freunde des Kunstmuseums Bonn. Die
Befürworterliste enthält 145 Namen. Es sieht so aus, als würde
das Projekt am 2. Dezember im ältestenrat besprochen werden.
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CDU-MdB Peter Harry Carstensen macht Reklame für seine Heimat bei
Christo
Dabei sind Sylvia Volz und Michael Cullen, 24. November 1993
Foto: Wolfgang Volz
1. Dezember 1993:
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard
Diepgen, schreibt an Christo, daß er das Projekt mehr und mehr
unterstützt.
Zum Abschluß der deutsch-französischen Beratungen im
Bundeskanzleramt, zu denen Premier François Mitterand gekommen ist, soll
Oskar Lafontaine vor der Versammlung für die Verhüllung des
Reichstags durch Christo plädiert haben. Bundeskanzler Kohl soll gesagt
haben, daß er strikt gegen das Projekt sei. Dr. Struck informiert Volz,
daß Rüttgers und die CDU warten wollen, bis Helmut Kohl mit einigen
Fraktionsmitgliedern gesprochen habe. Struck glaubt, dies sei die Reaktion auf
die Pressedokumentation, die Kohl vor wenigen Tagen erhalten hat. Frau
Süssmuth möchte im ältestenrat nur das Verfahren und nicht den
Inhalt diskutieren. Diese Informationen erhält man um 12.00 mittags. Zwei
Stunden später erfährt Volz, daß die CDU in der
ältestenratssitzung nicht einmal über das Verfahren sprechen will. Um
alles wird gekämpft, sogar um den Wortlaut des Antrags. Also: Wird es
überhaupt eine Diskussion im ältestenrat geben und wenn ja,
inhaltlich oder nur verfahrenstechnisch? Um 18.20 Uhr erfährt Volz,
daß das Projekt überhaupt nicht auf der Tagesordnung stehen wird.
2. Dezember 1993:
Obwohl trotz großer Erwartung der
ältestenrat nicht über das Projekt berät, zeichnet sich dort
eine Mehrheit für das Projekt ab.
Bei der Berliner Morgenpost scheint man gute Kontakte zum
ältestenrat zu haben. Im Artikel "Reichstag in Folie schon 1994
Besucher-Magnet" schreibt Daniel Goffart: "Im ältestenrat, der über
das strittige Projekt entscheidet, zeichnet sich eine entsprechende Mehrheit
ab." ... Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Berliner
Bundestagsabgeordnete Hans-Jochen Vogel sieht das Projekt in der
>abschließenden Phase<. Vogel, der einer Verpackung des Reichstags
eher ablehnend gegenüberstand, hat sich jetzt bei einem Gespräch mit
dem Aktionskünstler Christo in Paris [dieses Gespräch fand in Vogels
Bonner Büro statt!] überzeugen lassen."
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Christo im Gespräch mit Hans-Ulrich Klose und Karlheinz Maldaner,
7. Dezember 1993
Foto: Wolfgang Volz
7. Dezember 1993:
Um 13.00 Uhr führt das Team ein Gespräch mit
Hans-Ulrich Klose. Er meint, es würde sicher helfen, wenn er mit Wolfgang
Schäuble reden würde, außerdem will er noch einmal mit seiner
Fraktionsspitze über das Vorgehen diskutieren.
Um 15.00 Uhr findet eine Präsentation vor der fast vollständig
versammelten Fraktion des Bündnis 90/Die Grünen statt. Am
Schluß gibt es großen Beifall, und eine Abstimmung aller Anwesenden
ergibt eine einstimmige Unterstützung des Projekts.
8. Dezember 1993:
Seit vielen Monaten hatte Volz versucht, Termine mit
den noch verbleibenden Mitgliedern des ältestenrats zu machen.
Insbesondere hatte er sich um einen Termin mit Frau Ina Albowitz von der F.D.P.
bemüht, da ihre Meinung in ihrer Fraktion viel gilt. Dieser Termin findet
dann endlich im Büro von MdB Uwe Lühr statt. Frau Albowitz meint,
daß sie Angst davor hat, daß Christo sie mit seinem Charme
"rüberziehen" könnte. Es wird über die Wirkung des Projekts in
der Bevölkerung gesprochen und vereinbart, daß Christo Vorträge
in Weimar und Halle halten soll, um eine möglichst breite
Bevölkerungsschicht direkt zu erreichen. Außerdem sind beide MdB
davon überzeugt, daß eine Entscheidung vom Plenum getroffen werden
sollte. Frau Albowitz sagt am Ende, daß Christo der erste Mann sei, der
sie umstimmen konnte.
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Christo im Gespräch mit Ina-Albowitz und Uwe Lühr (F.D.P)
Foto: Wolfgang Volz
9. Dezember 1993:
Das Projekt kommt vor den ältestenrat, eine
Aussprache und Abstimmung darüber aber wird auf Januar verschoben. Die
Christos fahren mit Carl Flach nach Hamburg, wo die Sammlerin Alexandra von
Rehlingen einen Empfang gibt.
10. Dezember 1993:
Zum Abschluß der Ausstellung der Berliner
Zeitung sind die Christos in Berlin; Podiumsdiskussion im Hause der
Berliner Zeitung unter der Moderation von Erich Böhme.
11. Dezember 1993:
Treffen im Büro von Roland Specker. Die
Christo-Organisation wird neu gegliedert, Michael S. Cullen wird zum
Projekt-Historiker ernannt. Abends Empfang durch Stephen Kinzer, Berliner
Bürochef der New York Times. Anwesend ist auch Reichstagsverwalter
Dr. Hans-Jürgen Heß.
12. Dezember 1993:
Im Rahmen der "Berliner Lektion" im
Renaissance-Theater hält Christo einen Vortrag. Im ersten Teil zeigt er
etwa 60 Dias vom Reichstag und erläutert die Geschichte des Hauses, wie
sie hier im Buch zu lesen ist, und spricht von der Entstehung und Entwicklung
des Reichstags-Projekts, von der Postkarte im Jahre 1971, seinen früheren
Verhüllungen und seinen Landschaftsprojekten, um bis in die Gegenwart zu
kommen. Im zweiten Abschnitt behandelt er seine "works in progress", seine in
Vorbereitung befindlichen, noch zu realisierenden Projekte: Die "Gates"
für den Central Park in New York, die "Mastaba für Abu Dhabi", und
schließlich "Over the River". Es folgen Fragen, und fast immer sind es
dieselben: Was machen Sie hinterher mit dem Stoff? Warum muß es der
Reichstag sein, warum nicht die Mauer, die Siegessäule, das Europa-Center,
der Eiffelturm, der Kölner Dom, das Brandenburger Tor? Oder man wirft ihm
vor, das Reichstagsgebäude herabsetzen, beleidigen zu wollen oder
unterstellt ihm kommerzielle Interessen. Christo antwortet mit großer
Geduld und bekommt viel herzlichen Applaus.
20. Dezember 1993:
Im Spiegel steht, daß Hans-Ulrich Klose
zusammen mit Schäuble zu Kohl gehen will, um die Zustimmung des Kanzlers
zum Reichstags-Projekt zu erlangen.
29. Dezember 1993:
Eberhard Diepgen gibt der Zeitung Super-Illu
ein Interview: Er ist mehr denn je für das Projekt.
© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Text HTML-edited by Oskar Schirmer