http://www.kulturbox.de/christo/chrono/1992a__d.htm (Einblicke ins Internet, 10/1995)
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© 1995 by Christo & Luebbe Verlag
Chronologie des Reichstags-Projektes
Mai - Juli 1992
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5. Mai 1992:
Peter Conradi schlägt vor, daß Christo eine
kleine Ausstellung anläßlich des Preisgerichts für den
Reichstagsumbau machen und Cullen als Sachverständiger ein kurzes Referat
halten soll, damit die Preisrichter sich selbst eine Meinung vom Projekt bilden
können. Das Preisgericht wird zu dieser Zeit gerade zusammengestellt.
Cullen ist der Ansicht, daß solche Taktiken nicht am Anfang, sondern am
Ende des Weges stehen sollen.
12. Mai 1992:
Frau Süssmuth schreibt Jeanne-Claude und Christo,
daß ihre Bemühungen um eine Ausstellung noch nicht gefruchtet haben.
Sie teilt mit, daß sie sich bemühen wird, im Herbst eine Ausstellung
herbeizuführen. Und sie fährt fort:
"Wie Sie diesem Brief entnehmen können, hege ich weiter die Hoffnung,
daß Sie Ihr Ziel, das Reichstagsgebäude im Spätsommer 1994 zu
verhüllen, erreichen können. Ich selbst verstehe die
Zeit-Problematik; daher bitte ich Sie um Geduld bis zum Herbst. Entschuldigen
Sie mein längeres Schweigen, aber ich wollte Ihnen bessere Nachrichten
zukommen lassen. Dennoch können Sie beruhigt sein: Ich werde in meinen
Bemühungen um die Realisierung des Projekts nicht nachlassen."
18. Mai 1992:
Jeanne-Claude und Christo berichten in einem Rundbrief an
alle Freunde von dem Mittagessen mit Frau Süssmuth am 9. Februar 1992.
21. Mai 1992:
Cullen wird von der Bundesbaudirektion gebeten, für
das Preisgericht zum Reichstagsumbau Sachverständiger (ohne Stimmrecht) zu
sein.
21. Mai 1992:
Cullen spricht mit Rita Süssmuths Büroleiter
Thomas Läufer. Zu dieser Zeit scheint klar, daß der Umbau des
Reichstags frühestens im Spätsommer 1994 beginnen soll. Dies
würde für Christo einen enormen Termindruck bedeuten. Er
müßte mit seinem Projekt bis spätestens 15. Oktober 1994 fertig
sein, und das heißt, daß er eine Entscheidung bis spätestens
September 1993 brauchen würde. Christo benötigt Zeit, Collagen und
Zeichnungen zu machen, um das Projekt zu finanzieren. Er braucht Zeit, um die
nötigen Baugenehmigungen einzuholen. Stoffe müssen ausgesucht und
bestellt, Mitarbeiter gewonnen werden. Unter keinen Umständen soll aus
seinem Projekt eine Winterbaustelle werden, sagt Cullen auf Läufers
vorsichtige Frage. Die einzige Möglichkeit, die Angelegenheit zu
beschleunigen, wäre eine Verkürzung des Genehmigungswegs durch die
Berliner Instanzen.
Cullen will wissen, was bis Januar 1993 geschehen soll. Thomas Läufer
sagt, daß Frau Süssmuth zur Zeit durch ihr Eintreten für die
Abtreibungsregelung angeschlagen sei. Außerdem mache sie sich mehr
Gedanken über die Gestaltung der Eröffnung des neuen Bonner
Plenarsaals am 9. Oktober (zu diesem Zeitpunkt das angepeilte Datum) als
über anderes; das Christo-Projekt drohe in Vergessenheit zu geraten, auch
wenn Peter Conradi sie häufig damit konfrontiere. Damit bis zum Herbst
alles unter Dach und Fach sein könne, müsse eine Pressekampagne
gestartet werden; außerdem müsse Christo klarlegen, wie er seine
Projekte finanziert.
Thomas Läufer vernimmt, daß Bundespräsident Richard von
Weizsäcker das Projekt unterstützt, er werde Frau Süssmuth dies
sagen. Cullen drängt auch darauf, daß Herr Läufer Cullen
zusammen mit Wolfgang Volz und Roland Specker empfängt, und zwar so bald
wie möglich. Auf jeden Fall wollen sich Cullen, Volz und Specker bald
zusammensetzen. Läufer ist der Auffassung, daß ein erneutes
"Gipfeltreffen" zwischen Christo und Frau Süssmuth nicht vorrangig sei.
Das meiste könne auf "Referentenebene" weitergehen.
23. Mai 1992:
Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin.
Die CDU verliert im Osten viele Stimmen, die SPD gewinnt.
1. Juni 1992:
Cullen erhält ein Vorabexemplar des Auslobungstextes
für den Wettbewerb zum Umbau des Reichstags. Darin wird Christos
Verhüllungs-Projekt erwähnt. Dies ist offenbar auf Peter Conradis
Einfluß zurückzuführen.
12. Juni 1992:
Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs für
die Bebauung des Spreebogens. Die Entscheidung wird für den 18. Dezember
erwartet.
20. Juni 1992:
Cullen berichtet den Christos, daß Frau
Süssmuth eine schwere Zeit mit ihrer Einstellung zur Novellierung des
Abtreibungsgesetzes hat. Wie sie da herauskommen wird, ist im Moment noch
unklar, aber dieser Tatbestand bedeutet eine Schwächung des Projekts.
23. Juni 1992:
Richard Hunt schreibt Jeanne-Claude und Christo,
daß er Ende Mai in Hamburg bei einem Abendessen ein schönes
Gespräch mit Frau Süssmuth gehabt habe; sie habe ihm gesagt,
daß die Zeit für eine Entscheidung für das Projekt nahe. Als
Hunt seine Gespräche mit der Familie Kohls erwähnt, antwortet Frau
Süssmuth, nicht die Zustimmung des Kanzlers sei wichtig, nur seine
Neutralität. Hunt sagt auch, daß unter den Menschen, mit denen er
das Projekt besprochen hat, Arend Oetker und Rick Burt seien; dagegen sei, wie
eh und je, Prof. Michael Stürmer.
26. Juni 1992:
Auslobung des Bauwettbewerbs "Umbau des
Reichstagsgebäudes zum Deutschen Bundestag". Nach Einschätzung der
Auslober wird erwartet, daß nach Bekanntgabe der Sieger im Januar 1993
mehrere Monate für eine Weiterbearbeitung der Entwürfe benötigt
werden. Nach solcher Schätzung könnte die Umbauarbeit am
Reichstagsgebäude frühestens im Herbst 1994 beginnen.
29. Juni 1992:
Wolfgang Lüder, F.D.P.-MdB, schreibt seinem
Fraktionsvorsitzenden, Dr. Hermann Otto Solms, daß die
Reichstagsverhüllung keine Verzögerung des Umzugs bedeuten
würde. Christo fragt seine Freunde über die Verfassung, über den
Bundestag, den ältestenrat und über die wichtigsten Personen aus.
30. Juni 1992:
Cullen und Volz treffen Roland Specker in seinem
Büro. Nach Cullens Einschätzung sind neben Helmut Kohl die
mächtigsten - "most powerful" - Personen Deutschlands: Dr. Wolfgang
Schäuble, Dr. Theo Waigel, Otto Graf Lambsdorff, Rudolf Seiters, Dr. Anton
Pfeifer, Dr. Friedrich Bohl, Wolfgang Bötsch, Birgit Breuel von der
Treuhand und Verteidigungsminister Volker Rühe.
10. Juli 1992: Das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Dr. Herbert Zapp,
schreibt an Wolfgang Schäuble, er habe Verständnis dafür,
daß, wie Schäuble dem Ehepaar Christo mitgeteilt habe, daß
eine finanzielle Förderung des Reichtstagsprojekts durch die
öffentliche Hand nicht in Frage käme. Er unterstreicht in diesem
Zusammenhang, daß bisher alle Projekte Christos von ihm durch
Veräußerung von Originalentwürfen und Grafiken selbst
finanziert worden sind und dies auch für den Reichstag gelten werde. Zapp
fragt an, ob das Ehepaar Christo unter diesen Umständen doch noch mit
Schäubles Befürwortung rechnen könne.
25. Juli 1992:
Die Ministerin für Bau- und Wohnungswesen, Irmgard
Schwaetzer, behauptet in einem Interview, daß die Wiederherstellung der
Reichstagskuppel die Umbauzeit um zwei Jahre verlängern werde.
31. Juli 1992:
Christo und Jeanne-Claude, zurück in New York nach
einer Reise nach Frankreich, Italien und in die Schweiz, erhalten von Cullen
einen Satz der Reichstagspläne aus den Unterlagen des Umbauwettbewerbs.
Christo ist von den Plänen begeistert.
31. Juli 1992:
Cullen ist beim Rückfragekolloquium zum
Reichstagswettbewerb anwesend, wo er den Staatssekretär im
Bundesbauministerium, Gerhard von Loewenich, kennenlernt.
© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Text HTML-edited by Oskar Schirmer