© 1995 by Christo & Luebbe Verlag
Treffen am 9. Februar 1992 in der Amtsresidenz von
Bundestagspräsidentin
Rita Süssmuth
Links Peter Conradi
Foto: Wolfgang Volz
Auf Anfrage erklärt Christo, daß er ein Jahr Vorlauf brauche, um dieses Projekt zu realisieren. Nach einem Umbau - und die Frage des Reichstagsumbaus soll in den nächsten Tagen in einem Colloquium erörtert werden - will Christo das Gebäude nicht mehr verhüllen. Außerdem braucht er gutes Wetter. Allgemein ist man der Ansicht, daß der ideale Zeitpunkt August oder September 1994 wäre. Man verläßt den Tisch mit der Zuversicht, daß das Projekt jetzt gute Chancen hat. Frau Süssmuth würde gerne eine Ausstellung von Christos Werken in Bonn veranstalten, und sie wird Christo binnen 10 Tagen benachrichtigen.
Bei einem Abendessen im Hause von Roland Specker sagt Senator Hassemer, der nur wenige Minuten dabei sein kann, daß die Verhüllung früher als 1994 stattfinden muß, damit Christo nicht Schuld an einer Umzugsverzögerung in die Schuhe geschoben werden kann.
"Wie Sie sicherlich wissen, stellte vor inzwischen fast 17 Jahren der amerikanische Künstler Christo erstmals sein Projekt zur Verhüllung des Reichstages der Öffentlichkeit vor. Aus vielen Gründen, die nicht zuletzt mit der schmerzlichen Teilung unseres Vaterlandes zusammenhingen, konnte das Projekt nicht verwirklicht werden. Der Künstler hat jedoch dieses Projekt, an dem ihm schon damals sehr viel lag, niemals aufgegeben und in der Zwischenzeit international sehr beachtete Projekte wie etwa >Valley Curtain<, >Running Fence<, >Surrounded Islands< oder sein letztes Umbrella-Projekt verwirklicht. Alle diese Arbeiten wurden international nicht nur in höchstem Maße beachtet, sondern auch anerkannt. Es gehört im übrigen zu den Arbeitsprinzipien des Künstlers, daß er all diese Projekte durch den Verkauf seiner Arbeiten und Werke selbst finanziert und daher keinerlei staatliche Mittel oder Sponsorengelder benötigt.
Mit der wiedererlangten Einheit unseres Landes ist nun eine neue politische Lage entstanden, die die Gründe, die damals die Verhüllung des Reichstages durch Christo verhindert hätten, obsolet erscheinen lassen. Nachdem Christo vor einiger Zeit an mich herangetreten ist und mir dargelegt hatte, daß er nach wie vor sehr stark an der Realisierung seines Projektes interessiert ist, stehe ich in Anbetracht der veränderten politischen Situation in Berlin und in unserem Lande diesem Vorhaben positiv gegenüber. Ich würde deshalb gerne dem Künstler eine Gelegenheit einräumen, sein Reichstags-Projekt und seine früheren Arbeiten Mitgliedern des ältestenrates und anderen interessierten Abgeordneten vorzustellen. Da dies am besten natürlich vor Ort geschehen kann, wird Christo den Abgeordneten am Donnerstag, dem 21. Mai 1992, im Anschluß an die ältestenratssitzung im Reichstagsgebäude für ein Gespräch über seine Arbeit und sein geplantes Projekt der Verhüllung des Reichstages zur Verfügung stehen."
Wolfgang Schäuble (CDU) schreibt nur zwei Absätze: Er habe niemals eine gute Meinung von dem Projekt gehabt. Frau Süssmuths Hinweis auf die veränderte Lage in Deutschland und in Berlin sei der Grund, das Projekt weiter abzulehnen. Er wünschte, sie würde das Projekt nicht weiter verfolgen und sogar, daß sie keine Diskussion aufkommen lassen sollte.
Hermann Otto Solms (F.D.P) schreibt zwei Absätze: Dies sei keine Zeit für solche Aktionen. Frau Süssmuth sollte sich nicht mit einer Verlangsamung, sondern mit einer Beschleunigung des Umzugs des Parlaments von Bonn nach Berlin beschäftigen. Er fügt handschriftlich hinzu: Christo möge den Palast der Republik einpacken, "dann würde die Symbolik stimmen".
Arbeitsfrühstück im Reichstag am 9. November 1992.
Von links nach rechts: Thomas Läufer, Jeanne-Claude, Rita Süssmuth, Christo, Roland Specker, Michael Cullen.
Foto: Wolfgang Volz
Frau Süssmuth signalisiert, daß sie nicht Willens ist aufzugeben. Es wird bekannt, daß Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen Frau Süssmuth gebeten hat, nicht gerade jetzt, kurz vor den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin, große Aktivitäten in der Reichstagsverhüllungsfrage zu entwickeln. Daraufhin drängt Cullen auf eine grundsätzliche Stellungnahme des Senats.