© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Willy Brandt besucht Christo am 3. Oktober 1981 in seinem Atelier in New
York
Von links nach rechts: Klaus-Henning Rosen, Willy Brandt, Christo,
Dietrich Stobbe.
Foto: Wolfgang Volz
Anfang April, während des Berliner Wahlkampfes, empfängt Richard Stücklen Pressevertreter im Hotel Kempinski in Berlin und erklärt auf Anfrage, daß er nach wie vor gegen die Verhüllung des Reichstags sei. Immer noch weigert sich Stücklen, Christo überhaupt kennenzulernen.
Ende Mai erfährt Christo, daß das Bundestags-Präsidium einstimmig gegen das Projekt votiert habe. Christo will das Projekt aufgeben, denn wenn Einstimmigkeit vorgelegen habe, dann habe Frau Renger auch gegen ihn gestimmt. Es stellt sich allerdings heraus, daß es keine Abstimmung gegeben hat. Deshalb nimmt Christo seine Arbeit wieder auf.
Die Zeitschrift Art beschließt, aufgrund der Ausstellung in Köln ein Pro-und-Contra-Interview über das Reichstags-Projekt zu machen, wobei Walter Scheel die Pro- und Günter Gaus die Contra-Seite übernehmen.
Art fragt einige Politiker nach ihrem Urteil zum Christo-Projekt. Berlins neuer Kultursenator Wilhelm A. Kewenig erklärt - auch im Berliner Fernsehen -, daß er das Projekt befürworte. Als Antwort hierauf kann die Welt am 3. Dezember mit einem Leitartikel unter dem Titel "Des Christo neue Kleider" von Peter Dittmar aufwarten, in dem behauptet wird, daß Carstens noch immer gegen das Projekt sei. Auch wird Christo noch immer unterstellt, Steuergelder zu beanspruchen. "Denn jeder, der Christos Popularitätsspielereien nicht genehmigen (und nicht finanzieren) will, muß sich gefallen lassen, ein Kunstbanause gescholten zu werden ."
Henri Nannen, Herausgeber des Stern und Verleger von Art, schreibt Bundespräsident Stücklen am 24. November von dem geplanten Heft der Kunstzeitschrift im Dezember 1981 und bittet ihn um Stellungnahme, wobei er auch wissen will, ob der Stern im Reichstagsgebäude eine Befragungsaktion durchführen dürfe. Richard Stücklen antwortet ihm einige Tage später, daß der Standort des Reichtages "unmittelbar an der Mauer . für die politische Wirklichkeit unserer Tage" einstehe. "Dieser Sachverhalt ist so schwerwiegend, daß man meiner Meinung nach von dem Projekt einer Verhüllung . absehen sollte. Das gering entwickelte historische und politische Bewußtsein in unserem Volke ist eine Tatsache, obwohl historische Ausstellungen zum Teil einen großen Publikumsanspruch finden. Jeder Ansatz zu einem vertieften Begreifen unserer Geschichte und der sie tragenden Ideen und Kräfte sollte behutsam gefördert werden." Richard Stücklen erwähnt weiter, daß das Reichstagsgebäude mittlerweile für viele Zwecke benutzt werde, wie die Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte", die bereits mehrere Millionen Besucher gesehen hätten. "Damit ist dieses Gebäude mehr und mehr mit Leben erfüllt worden; es ist kein hohles Denkmal, das durch das Medium der Verhüllung einer Erweckung bedürfte. Es ist vielmehr zu befürchten, daß mit einer solchen künstlerischen Aktion das geschichtliche und politische Bewußtsein gerade bei der breiten Bevölkerung eher in das Gegenteil umschlägt, indem dieser Ort einer Verfremdung preisgegeben wäre, die auf Unverständnis bis hin zur entschiedenen Ablehnung stieße.
Letztlich scheint das Für und Wider um das Verpackungsprojekt seine Grenze dort zu finden, wo sich ein von Gefühl getragener geschichtlicher Sinn stärker als alle hin- und hergewendeten Argumente erweist. In diesen Zusammenhang gehört das spontane Urteil zahlreicher Mitbürger: >Verpackung des Reichstags . das kann man einfach nicht machen!< In dieser Meinung drückt sich eine Grundhaltung aus, die von einem selbstverständlichen geschichtlichen Bewußtsein geprägt ist, das es zu befestigen gilt. Eine Verpackung des Reichstages führt nach meiner Überzeugung nicht in diese Richtung."
Auf Nannens Anfrage, ob eine Umfrage im Reichstag veranstaltet werden dürfe, antwortet Stücklen, daß andere Themen außerhalb der "Fragen an die deutsche Geschichte" die Besucher "über Gebühr beanspruchen" müßten. Dies würde "die aus dem Reichstag- und Ausstellungsbesuch erhofften Anstöße und Wirkungen gefährden". Auch diese äußerungen von Stücklen, die mit anderen Leserbriefen in der Februarausgabe von Art abgedruckt werden, vermögen nicht mehr, Christo von seinem jetzt beschlossenen Weg abzubringen.