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© 1995 by Christo & Luebbe Verlag
Chronologie des Reichstags-Projektes
1984
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Jeanne-Claude und Christo im Gespräch mit dem Chef
des
Bundesinformationsamts Peter Boenisch, 21. Februar 1984.
Foto: Wolfgang Volz
21. Januar 1984:
Barzel und Seidel sind in New York zum "Cotillion
Ball". Barzel hat für Christo keine Zeit, aber Seidel besucht die Christos
in der Howard Street. Er ist sehr beeindruckt von Christo und Jeanne-Claude und
dem ganzen Ambiente und wird den Bundestagspräsidenten darüber
unterrichten.
20. Februar 1984:
Die Christos kommen in Köln an und steigen im
Dom-Hotel ab. Gespräch mit Verleger Ernst Brücher vom Dumont Verlag
über das Buch zum Projekt "Surrounded Islands".
21. Februar 1984:
Durch Vermittlung von Erich Millecker vom
Bundespräsidialamt findet ein Gespräch über das
Reichstags-Projekt zwischen Christo und Jeanne-Claude und dem Chef des
Bundespresseamts, Peter Boenisch, statt.
21. Februar 1984:
Abendessen in der Villa von Otto und Winnie Wolff von
Amerongen in Köln. Zu Gast u.a.: Dr. Rainer Barzel und Gattin, Christo und
Jeanne-Claude, Wolfgang Volz, Michael S. Cullen, Prof. Dr. Wilhelm A. Kewenig
und Frau Marianne, Arend Oetker und Gattin, Michael Otto und Gattin, Peter Graf
Metternich und seine Gattin Christine Gräfin von Metternich, der Hamburger
Rechtsanwalt Dr. Heinrich Senfft, der Generaldirektor der Kölner Museen
Prof. Dr. Hugo Borger, Prof. Karl Ruhrberg, der Geschäftsführer des
Deutschen Industrie- und Handelstages Franz Schoser und der Finanzberater von
Wolff, Herr Portatius, insgesamt sind es 21 Personen.
Frau Wolff von Amerongen hat die Gäste so plaziert, daß neben einem
glühenden Befürworter des Projekts jeweils ein Skeptiker sitzt; sie
selbst sitzt an einem Ende des Tisches, Jeanne-Claude am anderen. Zu
Jeanne-Claudes Rechter Dr. Barzel, links neben Christo dessen Gattin.
Nach dem Essen bittet Rainer Barzel Christo und Jeanne-Claude zu sich, um
"über die Realitäten" zu sprechen. Das Gespräch, dem nur Graf
Metternich zeitweise beiwohnt, dauert zwei Stunden. Jeanne-Claude kommt und
fragt, etwas neckisch: "Sie möchten wahrscheinlich wissen, wovon wir die
ganze Zeit reden, oder?" Dann berichtet sie: Barzel gibt zu erkennen, daß
er sich eine Realisierung des Projekts für September 1985 vorstellen kann,
will aber aus Geheimhaltungsgründen die Genehmigung erst vier Monate zuvor
erteilen. In Berlin stehen am 10. März 1985 Wahlen an. Christo kann ihn
überzeugen, daß er zwölf Monate Vorlauf benötige, eine
Geheimhaltung sei vollkommen unmöglich.
22. Februar 1984:
Um 10.30 Uhr findet ein Treffen mit
Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger in ihrem Büro im
Bundeshaus statt. Christo signiert Plakate, die für die Errichtung einer
Bundeskunsthalle für Bonn werben soll.
Um 11.00 Uhr ist ein Gespräch mit Bundeskanzler a. D. Willy Brandt in
seinem Büro im Bundeshaus angesetzt. Nachmittags fliegen Christo und
Jeanne-Claude nach Berlin.
Um 16.30 Uhr trifft Christo sich in Berlin mit Dr. Volker Hassemer, Senator
für Kulturelle Angelegenheiten, der das Projekt unterstützt, aber
leider mehr im Verborgenen als öffentlich. Hassemer vermißt eine
breitere Unterstützung durch die Berliner und in der Berliner Presse,
besonders in der Springerpresse.
22. März 1984:
Volz sagt, Rosen habe von Seidel gehört,
daß Barzel im September diesen Jahres die Genehmigung für die
Realisierung des Projektes im September 1985 ausstellen werde.
29. März 1984:
Die Christos essen mit Senator Wilhelm A. Kewenig in
Tokyo. Cullen hatte das Treffen in die Wege geleitet.
15. April 1984:
Die DSL-Bank betreibt eine Anzeigenkampagne, in der die
Filialen und Bankhäuser an den aufregendsten Plätzen der Welt stehen.
An diesem Tag zeigt das Bild auf S. 233 des Spiegel Menschen in einem
Café, die auf einen im Christo-Stil verhüllten Arc de Triomphe
schauen.
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Im Haus von Jeanne-Claude und Christo in New York, 20. Mai 1984.
Von links nach rechts: Dietrich Stobbe, Klaus Henning Rosen, Jeanne-Claude Christo, Willy Brandt und Christo
Foto: Wolfgang Volz
23. Mai 1984:
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Richard von
Weizsäcker, wird zum Bundespräsidenten gewählt.
7.-8. Juni 1984:
Christo und Jeanne-Claude sind in Paris, arbeiten am
Pont-Neuf-Projekt.
9. Juni 1984:
100 Jahre nach der Grundsteinlegung für das
Reichstagsgebäude erscheinen zahlreiche Artikel, auch ein Film über
die Geschichte des Reichstags, in dem auf Christos Projekt Bezug genommen wird,
läuft im Fernsehen.
12.-14. Juni 1984:
Christo und Jeanne-Claude sind in Basel, wo Christo
zur Eröffnung des Basler Architekturmuseums die Fußböden
verhüllt. Christo und seine Frau, beide am 13. 6. 1935 geboren, feiern
ihren 49. Geburtstag.
20. Juni 1984:
Zu Barzels 60. Geburtstag erhält er eine
Pressedokumentation über die Grundsteinlegung des Reichstagsgebäudes.
Sie wurde von seinem Büro bei Cullen in Auftrag gegeben.
26. Juni 1984:
Christos Freunde und Mitarbeiter, Tom Golden, Harrison
Rivera-Terreaux, Josy Kraft und Wolfgang Volz treffen in Berlin ein.
27. Juni 1984:
Christo und Jeanne-Claude sind in München. Christo
spricht zur Klasse von Daniel Spoerri.
28. Juni 1984:
Christo und Jeanne-Claude treffen in Berlin ein.
30. Juni 1984:
Eröffnung einer historischen Ausstellung im
Reichstag; Cullen ist anwesend. Ursprünglich war ein Termin mit Barzel
vereinbart worden, der aber nicht kommen konnte, weil er zur Beerdigung von
Marianne Strauß mußte. Für Barzel ist Frau Renger
eingesprungen. Cullen kann sie bitten, eine Dachbesichtigung zu genehmigen. Sie
wiederum bittet den Direktor beim Deutschen Bundestag, Herrn Dr. Hellmut
Schellknecht, dies zu organisieren. Schellknecht sagt Cullen, er sei
ursprünglich gegen das Projekt gewesen, aber inzwischen ein
Befürworter geworden. Er weist den Stellvertretenden Direktor Edmund
Mattig an, die Vorbereitungen für die Besichtigung zu treffen. Mattig will
auf die Nichtverwirklichung des Projektes anstoßen, Schellknecht und
Cullen heben demonstrativ ihre Gläser nicht.
1. Juli 1984:
Richard von Weizsäcker übernimmt sein Amt in
Bonn. Sein Nachfolger als Regierender Bürgermeister von Berlin wird Herr
Eberhard Diepgen (CDU).
3. Juli 1984:
Die Christos kommen in Berlin an, um die Ausstellung
über das Surrounded-Islands-Projekt aufzubauen.
8. Juli 1984:
Vormittags findet ein Brunch beim Sammler Heiner Pietzsch
statt, abends die Eröffnung in der Neuen Nationalgalerie. Leider kann
Bundestagspräsident Barzel nicht zur Vernissage kommen, da er an der
Eröffnung des Katholikentages in München teilnimmt. Der Regierende
Bürgermeister spricht. Diepgen lobt Christo und die "Surrounded Islands",
läßt aber nicht durchblicken, ob er sich das Reichstags-Projekt
wünscht oder nicht. Am Abend Feuerwerk vor dem Reichstag und Gartenfest
bei dem Berliner Sammler Hans-Hermann (Menne) Stober.
9. Juli 1984:
Mit Genehmigung von Annemarie Renger inspizieren Christo,
Jeanne-Claude, Mike Cullen, Wolfgang Volz, Tom Golden, Harrison
Rivera-Terreaux, Vahé Aprahamian, Ted Dougherty, Augie Huber, Josy Kraft
und Jürgen Sawade das Dach des Reichstagsgebäudes. Nach zwei Stunden
gibt es die Gelegenheit, ein Gespräch mit Jürgen Heß und Edmund
Mattig zu führen. Gute Laune und Gelassenheit kennzeichnen diese
Stunden.
12. Juli 1984:
Es erscheint ein Artikel von Ann Monroe über Christo
und Jeanne-Claudes Finanzierungskonzept in the Wall Street Journal:
"Klasse 1 A: Christo nicht nur Künstler, sondern auch Geschäftsmann;
er gründete Firma CVS AG, um seine Projekte zu finanzieren; häufig
Kostenüberschreitungen; kämpfte mit Bürokratie."
14. Juli 1984:
Da es einen Pressestreik gibt, ist die Berichterstattung
zunächst sehr spärlich. Erfreulich ist der Bericht in der
Tageszeitung (taz), der die Ausstellung geradezu enthusiastisch lobt.
Allerdings ist mit diesem Artikel der Vorschlag verbunden, Christo möge
einen Dioxinberg in Hamburg verpacken. Als Illustration dient eine Zeichnung im
Christo-Stil, die jedoch nicht als Imitat bezeichnet ist. Die taz
muß die Sache am 19. Juli dementieren.
19. Juli 1984:
Cullen antwortet in der taz auf den Artikel vom
14. Juli. Christo ist unterwegs, kann von diesem Vorschlag nichts wissen,
dennoch würde er sicher nichts davon halten. Christo würde,
wüßte er von dem Umweltskandal, nicht weniger heftig reagieren als
die Zeitung. Dennoch: "Seine Kunstwerke können den Berg nicht ungeschehen
machen, können nicht mehr informieren, können nicht die Bereinigung
bewirken, können nicht für die Absetzung der Verantwortlichen
annähernd so viel tun wie Ihre Zeitung."
In der Berliner Morgenpost spottet Rudolf Stiege über das
Reichstagsgebäude: "Im Leichenhemd? Wenn uns im freien Teil der Stadt zur
750-Jahr-Feier nichts anderes einfällt, als den Reichstag
einzuhüllen, dann sollten wir uns alle miteinander einpacken lassen,
meinetwegen von Christo."
27. August 1984:
Der Bürgermeister von Paris, Jacques Chirac,
schreibt an Christo und Jeanne-Claude und teilt ihnen mit, daß sie den
Pont Neuf verhüllen dürfen.
28. August 1984:
Seidel gibt Cullen telefonisch folgende Informationen:
Diepgen, der von Barzels bevorstehender Genehmigung erfahren habe, hat Ende
Juli einen Brief an seinen Parteifreund geschrieben, worin er ihn bittet, mit
der Entscheidung bis nach den Berlinwahlen, die für den 10. März 1985
vorgesehen sind, zu warten, da ihm, Diepgen, seine Stammwähler bei einer
frühzeitigen Bekanntgabe eventuell davonlaufen könnten. Diepgens
Bedenken sind offenbar eine Folge des Morgenpost-Artikels. Christo wird
von dem Brief und von Barzels Entschluß, Diepgens Bitte nachzukommen,
informiert, gibt sich aber nicht geschlagen und möchte schon Pläne
des Reichstagsgebäudes haben, um ein Modell zu bauen. Cullen setzt sich
mit Seidel in Verbindung.
Anfang September 1984:
Seidel berichtet, daß in der
Bundesbaudirektion Widerstand gegen eine Aushändigung der Pläne zu
bestehen scheint: Was wäre, wenn sie in die Hände von Terroristen
fielen?
10. September 1984:
CDU-Fraktionssitzung in Berlin, eine gute
Gelegenheit, um mit Seidel über die Pläne zu sprechen. Jürgen
Sawade, der zu dieser Zeit ein Architekturberater des Berliner Bausenators
Franke ist, wird eingeschaltet.
11. September 1984:
Um 15.00 Uhr trifft Seidel sich mit Jürgen
Sawade in dessen Berliner Büro. Das Gespräch bewirkt, daß die
Bedenken der Bundesbaudirektion zurückgestellt werden.
14. September 1984:
Die Pläne gehen bei Sawade ein; es fehlt
allerdings eine Dachaufsicht. Während alle übrigen umgehend nach New
York geschickt werden, wird versucht, den fehlenden Plan zu bekommen.
23. September 1984:
Christo kommt aus Stockholm, besucht Berlin. Er
beschließt, das bereits genehmigte Projekt in Barcelona "Verhülltes
Columbus-Denkmal" nicht zu vollenden.
27. September 1984:
Aprahamian, Sawade, Volz und Cullen inspizieren
erneut das Dach des Reichstagsgebäudes. Volz macht ca. 150 Aufnahmen,
Vahé nimmt Maß.
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In der Wohnung von Michael Cullen wird am 31. Oktober 1984 an einem
Modell
ausprobiert, wie die Verhüllung technisch zu bewältigen
ist.
Von links nach rechts: Theodore Dougherty, Vahle Aprahamian, Jürgen
Sawade, Jeanne-Claude, Christo
Foto: Wolfgang Volz
1. Oktober 1984:
In der Oktober-Ausgabe der Berliner Liberalen
Zeitung (F.D.P.-Blatt) erscheint ein positiver Artikel über das
Reichstags-Projekt. Die Berliner F.D.P. unterstützt das Projekt.
5. Oktober 1984:
Der fehlende Plan geht ein und wird nach USA geschickt.
Er geht in den US-Bundesstaat Colorado, wo durch Ted Dougherty das Modell
bestellt und hergestellt wird.
15. Oktober 1984:
Ein Spiegel-Artikel über Barzels
Verbindungen zu Flick läutet das Ende der Präsidentschaft Barzels,
der wegen Verstrickung in die Flickaffäre angeschlagen ist, ein.
16. Oktober 1984:
In der Süddeutschen Zeitung erscheint ein
Leitartikel über Barzel. Das Ende zeichnet sich schon ab. Cullen berichtet
Christo und Jeanne-Claude von dieser Entwicklung.
23. Oktober 1984:
Volz ruft Jeanne-Claude an und informiert sie von
Barzels bevorstehendem Rücktritt.
25. Oktober 1984:
Barzel muß von seinem Amt als
Bundestagspräsident zurücktreten. Christos erste Reaktion: Schade, es
schien, als würde er die Genehmigung geben. Das ist die Politik, das
zeigt, wie politisch das Projekt ist. Und: Glücklicherweise hat Christo
die Pläne bekommen; einige Tage später wäre es zu spät
gewesen. Doch: Wer wird Barzel folgen und was wird sie/er zum Projekt meinen?
Dennoch gibt es eine gewisse Erleichterung: Das Pont-Neuf-Projekt kann jetzt
ohne Berlin-Ablenkung vorangetrieben werden. Beide Projekte gleichzeitig zu
betreiben hätte Christos Kräfte und Finanzen sicher
überstrapaziert.
26. Oktober 1984:
Das Modell für den verhüllten Reichstag
trifft in Cullens Berliner Wohnung ein.
29. Oktober 1984:
Christo, Jeanne-Claude, Ted Dougherty, Vahé
Aprahamian und Wolfgang Volz treffen in Berlin ein.
31. Oktober 1984:
Das Modell wird in Cullens Wohnung aufgestellt.
Christo, Jeanne-Claude, Dougherty, Vahé, Cullen, Volz, Sawade und Philipp
Kewenig, Sohn des Senators, experimentieren mit verschiedenen Methoden, das
Reichstagsgebäude zu verhüllen. Treffen mit Senator Hassemer.
5. November 1984:
Dr. Philipp Jenninger (CDU) folgt Barzel in das Amt
des Bundestagspräsidenten. Lothar Späth, Ministerpräsident von
Baden-Württemberg und mit der Familie Volz befreundet, bittet Jenninger,
keine Stellungnahme zum Projekt abzugeben, ehe er sich informiert hat.
Ausbleibende Stellungnahmen deuten darauf hin, daß diese Initiative
Erfolg hat.
Ende November 1984:
Christo-Freund, der Zeit-Verleger Gerd
Bucerius, schreibt Philipp Jenninger und bittet ihn, dem Projekt zuzustimmen.
Christo schöpft Hoffnung.
Anfang Dezember 1984:
Jenninger antwortet Bucerius "kurz und schroff",
daß er seine Zustimmung nicht geben will.
5. Dezember 1984:
Bundespräsident von Weizsäcker besucht die
Berliner Fabrik von Adolff, der den Stoff für "Surrounded Islands"
geliefert hat. Er äußert sich vor der Belegschaft positiv zu
Christos Reichstags-Projekt.
18. Dezember 1984:
Christos Anwalt Dr. Heinrich Senfft liest
Jeanne-Claude am Telefon den Inhalt des Briefwechsels Bucerius/Jenninger vor.
© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Text HTML-edited by Oskar Schirmer