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Chronologie des Reichstags-Projektes

Januar - August 1985

Mittagessen bei der deutschen Bank von Berlin, 19. Dezember 1985
Von links nach rechts: Christo, Arend Oetker, Jeanne-Claude, Walter Scheel, Klaus Mertin
Foto: Wolfgang Volz

31. Januar 1985:

Auf Bitten Christos versucht Berlins Wissenschaftssenator Kewenig vergeblich, Jenninger zur Genehmigung des Projektes zu bewegen. In diesem Gespräch in Bonn sagt Jenninger, sein "nein" zu Bucerius sei "nur bedingt" gemeint gewesen. Jenninger will außerdem von Kewenig wissen, welche Nutzungsänderungen mit der Reichstagsverhüllung verbunden werden könnten. Davon dringt nichts an die Öffentlichkeit.

3./4. Februar 1985:

Christo ist in Hamburg zur Eröffnung der Ausstellung "Surrounded Islands" in der Kunsthalle.

5. Februar 1985:

Ein Gespräch mit Christo, geführt vom Redakteur John Laupitz, erscheint im Hamburger Abendblatt: "Je mehr Schwierigkeiten, desto besser".

10. März 1985:

Berliner Wahlen. Diepgen wird gewählt; Hassemer und Kewenig bleiben als Senatoren im Amt.

7. April 1985:

An diesem Ostersonntag geht Berlins Senator für Wirtschaft, Elmar Pieroth, mit Philipp Jenninger spazieren. Auf Bitten seiner Freunde versucht Pieroth, Jenninger dazu zu bewegen, die Genehmigung 1985 zu erteilen. Der Sommer 1986 sei ein günstiger Termin für die Realisierung des Projekts, da man damit das zu erwartende Sommerloch füllen könne. Jenninger gibt sich offen. Wie beim Senator Kewenig will er wissen, als was der Reichstag nach einer eventuellen Verhüllung angesehen werden wird. Der Auftrag, diese Frage zu beantworten, geht von Jenninger an den Senat und vom Senat an Senator Hassemer.

18. Mai 1985:

Eröffnung einer Christo-Ausstellung in der Fondation Maeght in St. Paul de Vence. Zur Eröffnung kommen Senator Hassemer und Berliner Filmfestspielleiter Moritz de Hadeln, die in Cannes am Filmfestival teilnehmen. Hassemer sagt Christo seine weitere Unterstützung zu, was gar nicht nötig ist, denn seine bloße Präsenz bei der Eröffnung ist für Christo ein ermutigendes Zeichen.

28. Mai 1985:

Hassemer schreibt an Jenninger. Er schlägt jetzt vor, die Realisierung des Projekts für den Sommer 1987 ins Auge zu fassen, da Berlin 1987 seinen 750. Geburtstag feiert. Der Symbolgehalt des Reichstags würde stärker und positiver gesehen werden als in der Vergangenheit. Er befürwortet auch die Wiederherstellung der Kuppel, die die Architekten Georg Kohlmaier und Barna von Sartory ihm erläutert haben. Die Christo-Aktion würde eine "unvergleichbar weltweite Öffentlichkeitswirkung" erreichen und ein "zahlreiches internationales Publikum mobilisieren", man würde "zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Gebäude, seiner politischen und historischen Bedeutung und mit der Lage Berlins im geteilten Deutschlands beitragen. Schließlich bedeutet Verhüllung nicht zweideutige Ironie oder Frivolität, sondern Trauer, Schmerz, Festlichkeit, Geschenk und Vorfreude."

13. Juni 1985:

Christo und Jeanne-Claude feiern ihren 50. (100.) Geburtstag in New York. Artikel über ihr Leben und Werk erscheinen auch in Deutschland.

16. Juni 1985:

Im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt steht ein ausführliches Interview Christos mit Bärbel Jäschke: "Ein Mann packt ein: Seine Aktionen sind immer provokant. Und manche Gegner von einst feiern ihn heute als >Visionär<."

15./16./17. Juni 1985:

In einem großen Geburtstagsartikel "Verpacken, um zu enthüllen: Für Christos Pläne mit dem Berliner Reichstag stehen die Chancen nicht schlecht" schreibt der Berlin-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Volker Skierka, wohlwollend und gibt manches preis, was Hassemer in der letzten Zeit unternommen hat. Skierka stellt besonders heraus, daß Willy Brandt das Projekt befürwortet. Die Artikel von Jäschke und Skierka bewirken, daß sich die Berliner Abendschau mit Christo solidarisiert und Johannes Otto von der Berliner Morgenpost gegen das Projekt polemisiert.

21. Juni 1985:

Die Deutsche Bank Berlin bietet einen Kredit für den Fall an, daß eine Genehmigung für das Reichstags-Projekt erlangt wird. Für andere Projekte einen Kredit zu gewähren ist die Bank nicht bereit.

6./7. Juli 1985:

Berlins Senator für Bau- und Wohnungswesen, Klaus Franke, CDU, reagiert auf Skierkas Artikel in der Süddeutschen Zeitung: "Das Reichstagsgebäude keine Sekunde verpackt: Das Reichstagsgebäude ist nicht nur ein Bauwerk, sondern ein Stück deutscher Geschichte. Es soll uns ständig erinnern, mahnen und keine Sekunde verhüllt sein."

13./14. Juli 1985:

Berlins Senator für Wissenschaft und Forschung, Prof. Dr. Wilhelm A. Kewenig, hat seine Stellungnahme in den Leserbriefspalten der Süddeutschen Zeitung "Auseinandersetzung mit dem Verhüllten" abgegeben: "... mein uneingeschränktes Ja zu Christos Reichstags-Projekt."

Einige Tage später trifft Cullen sich mit Bundestagsvizepräsidenten Hans (Johnny) Klein auf dem Oktoberfestgelände in München. Klein ist nach wie vor für das Projekt.

19. Juli 1985:

Hassemer trifft sich mit Jenninger am Reichstag, um die Wiederherstellung der Kuppel und die Realisierung des Christo-Projekts zu erörtern. Dabei sind die Architekten Kohlmaier und Sartory sowie Jürgen Sawade, Berater sowohl des Senators Franke wie auch Christos. Jenninger will weiter mit Hassemer sprechen, aber auch mit Bundesbauminister Oscar Schneider und Eberhard Diepgen, und zwar am Rande des CDU/CSU Parteitags, der für den 9. und 10. September in Berlin geplant ist.

24. Juli 1985:

Diepgen erklärt, er begrüße die Diskussion um das Projekt. Dies ist keine Stellungnahme für das Projekt, nur für die Diskussion.

Die Berliner SPD erklärt sich für das Christo-Projekt.

10. August 1985:

Der in Berlin lebende Maler (und Taxifahrer) Michael Ostwald beginnt eine Kampagne gegen Christo. Er schreibt an Willy Brandt, daß Kunstwerke nicht umfunktioniert werden dürfen, daß dies einem Bulgaren keineswegs erlaubt werden dürfe. Er verbindet diese Mahnung mit Empfehlungen seiner eigenen Kunst - er habe bereits Hermann Hesse und Heinrich Böll porträtiert.

17. August 1985:

Beim Tagesspiegel steht die Kulturredaktion hinter dem Projekt, die Politik, wie an diesem Tage ersichtlich, dagegen nicht. Leitglosse von Günter Matthes, Chef der Lokalredaktion: "Nicht zu verpacken: ... dieses von Geschichte, Flammen, Fluch, Blut und Tränen gezeichnete Bauwerk, von dessen Fenster die erste gescheiterte Republik ausgerufen wurde, läßt sich nicht verpacken." Auf Matthes antworten in den nächsten Wochen u.a. die Kunst- bzw. Architekturhistoriker Otto von Simson, Thomas Gaethgens und Heinrich Klotz.

31. August 1985:

Jenninger schreibt an Hassemer, daß er bei seiner ablehnenden Haltung bleibt. "Meine Vorgänger im Amt haben diese Aktion abgelehnt. [Von den Positionen von Annemarie Renger und Rainer Barzel scheint Jenninger nichts wissen zu wollen.] Ich habe mich dieser Meinung bisher aus wohlerwogenen Gründen angeschlossen. Im Zusammenhang mit der hoffentlich möglichen Wiederherstellung der Kuppel des Reichstagsgebäudes und der Restaurierung der vier Ecktürme bin ich bereit, diese Problematik erneut mit den Mitgliedern des Präsidiums zu erörtern."

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Text HTML-edited by Oskar Schirmer