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© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Chronologie des Reichstags-Projektes
Juni - Juli 1993
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Gespräch in der Berliner Landesvertretung in der
Joachimstraße in Bonn.
Von links nach rechts: Michael Cullen, Hans-Jürgen Heß, Ulrich Maetzel, Christo, 17. Juni 1993
Foto: Wolfgang Volz
8. Juni 1993:
Christo eröffnet seine Ausstellung "Der Reichstag und
andere Urban Projects" im Wiener Kunsthaus. Dort begrüßt ihn unter
anderem der Präsident des österreichischen Nationalparlaments, der
verspricht, sich bei passender Gelegenheit mit Frau Süssmuth in Verbindung
zu setzen. Nach wenigen Tagen in Skandinavien, wo Christo Vorträge
hält, erreichen Christo und Jeanne-Claude an ihrem Geburtstag, dem 13.
Juni, Bonn, wo sie wiederum Quartier in der Berliner Landesvertretung nehmen.
Dort feiern sie ein stilles Geburtstagsfest mit Sylvia und Wolfgang Volz, mit
einem verhüllten Reichstag aus Bündner Fleisch.
10. Juni 1993:
In einer Umfrage im Auftrag des Berliner Senats steht
Verheerendes: "Der Respekt vor historischen Gebäuden zeigt sich auch bei
anderen Ergebnissen. Wenig Verständnis bei den Berlinern findet das
Vorhaben des Künstlers Christo, den Reichstag zu verhüllen. 38
Prozent wollen immerhin das Parlament als Kunstwerk sehen, 60 Prozent sind
dagegen."
11. Juni 1993:
Der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Anton Pfeifer,
bedankt sich bei dem Berliner Galeristen Georg Nothelfer im Auftrag des
Bundeskanzlers für den Brief, in dem er das Reichstags-Projekt des
Künstlers Christo befürwortet und den Bundeskanzler bittet, es zu
unterstützen. Zuständig für die Genehmigung dieses Vorhabens sei
das Präsidium des Deutschen Bundestages. Pfeiffer bittet um
Verständnis dafür, daß sich der Bundeskanzler aus diesem Grunde
einer Stellungnahme in der Sache enthalte.
In mehreren Gesprächen versuchen Christo, Jeanne-Claude, Volz, Cullen und
Specker das Schreiben zu deuten. Weiß der Kanzler, daß im
Präsidium schon eine Mehrheit vorhanden ist? Wird er wirklich keine
äußerungen mehr machen?
14. Juni 1993:
Nach einem Interview mit dem Studentenwerk-Magazin
Semester-Tip fliegen die Christos nach Berlin, wo sie im Literarischen
Colloquium am Wannsee Gäste der Berliner IBM-Vertretung (Ludwig von
Reiche) sind. Noch um Mitternacht macht Volz neue Aufnahmen von Christo und
Jeanne-Claude vor dem Reichstag für das Lufthansa-Logbuch.
15. Juni 1993:
Das Kunstmuseum Bonn zeigt alle Christo-Filme. Am Abend
hält Christo hier einen Vortrag, im Anschluß daran gibt es mehrere
Interviews.
Friedbert Pflüger erhält einen Brief von Schäuble, der fast
identisch ist mit jenem Brief, den er Anfang Februar an den Berliner Ernst
Seidel gerichtet hat. Einen ähnlichen Brief, vom selben Tag, erhält
Nothelfer.
16. Juni 1993:
Die Christos führen mehrere Gespräche, u.a. mit
SPD-MdB Günter Verheugen, CDU-MdB Dr. Andreas Schockenhoff und CDU-MdB
(für Berlin) Peter Kittelmann. Christo gibt ein Interview für
3Sat/ZDF.
17. Juni 1993:
In einem Zimmer der Berliner Landesvertretung sprechen
die Christos mit dem Direktor der Reichstagsverwaltung, Dr. Hans-Jürgen
Heß, und seinem Mitarbeiter Ulrich Maetzel. Beide befürworten die
Präsentationen der überarbeiteten Reichstagsentwürfe. Christo
stellt sich dem Christian Science Monitor zum Interview. Der Termin mit
Wolfgang Schäuble für 17.00 Uhr platzt und wird auf den 21. Juni
verschoben.
Jeanne-Claude und Christo bitten Kanzleramtschef Friedrich Bohl und die
Staatsminister im Bundeskanzleramt Anton Pfeifer und Bernd Schmidbauer um einen
Termin.
18. Juni 1993:
Die Ausstellung von Plakaten, die vorher in der
bulgarischen Botschaft zu sehen war, wird im Evangelischen Krankenhaus in Bonn
durch Christo eröffnet. Spätabends kommt Frau Süssmuth in die
Berliner Landesvertretung, wo es ein Arbeitsgespräch zwischen ihr, ihrem
Büroleiter Thomas Läufer, Christo, Jeanne-Claude, Michael Cullen,
Wolfgang und Sylvia Volz und Roland Specker gibt. Christo berichtet von seinen
Erfolgen, besonders von dem bevorstehenden Termin mit Wolfgang Schäuble.
Frau Süssmuth versucht, Eberhard Diepgen darum zu bitten, vorher mit
Schäuble zu telefonieren und ihm von der Senatsunterstützung zu
erzählen; gegen 23.00 Uhr erreicht sie Klaus-Rüdiger Landowsky in
Berlin, der verspricht, dem Regierenden Bürgermeister ihre Bitte
auszurichten. Frau Süssmuth legt Jeanne-Claude und Christo nahe, die Runde
beim Termin mit Wolfgang Schäuble so klein wie möglich zu halten, das
Gespräch würde dann sicher persönlicher verlaufen.
20. Juni 1993:
Die Christos kommen in Berlin an, wo man der Berliner
Bild ein Interview gibt. Vorher nutzt man die Zeit, Aufnahmen am
Reichstag zu machen, auch vom Dach.
21. Juni 1993:
Nachmittags nimmt das Christo-Team an der Emeritierung
von Tilmann Buddensieg an der Bonner Universität teil. Christo
überreicht Professor Buddensieg eine kleine Reichstagscollage, die auch
den Titel der Festschrift ziert. Um 19.00 Uhr ist ein Gespräch mit Herrn
Scharrenbroich in Vorbereitung des Termins mit Wolfgang Schäuble
angesetzt. Abendessen mit Herrn Dr. Ott und Frau Dr. Weiß im "Aennchen"
in Bad Godesberg. Die Brüder Hissen - Filmemacher - sind auch dabei.
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Christo bei CDU-MdB Johannes Gerster, 22. Juni 1993.
Foto: Wolfgang Volz
22. Juni 1993:
Das Treffen mit Herrn Schäuble findet in seinem
Büro, Altes Hochhaus, Zimmer F 203, gegen 12.00 Uhr statt. Dies ist ein
großer Meilenstein in der Geschichte des Projekts, weil sich Wolfgang
Schäuble im Januar vehement gegen jede Diskussion über dieses Thema
gestellt hatte. Vom Team nehmen nur Christo, Jeanne-Claude und Volz an dem
Gespräch teil. Wolfgang Schäuble gibt zu verstehen, daß der
Dialog mit Christo weitergehen solle und daß auch er selbst mit seinen
Kollegen über das Projekt sprechen werde. Außerdem wolle er sich bei
Jacques Chirac über dessen Erfahrung mit dem Projekt "Pont Neuf Wrapped"
erkundigen. Die Atmosphäre beim Gespräch ist ausgesprochen offen und
fast herzlich. Die Unterhaltung findet auf Englisch statt, erst am Schluß
rutscht Jeanne-Claude ein Satz auf Französisch heraus, worauf
Schäuble mit Freude feststellt, daß sein Französisch besser sei
als sein Englisch. Man vereinbart beim nächsten Treffen Französisch
zu sprechen.
An diesem Tag führen die Christos außerdem mit CDU-MdB Joachim
Schmidt ein langes interessantes Gespräch über Kunst im allgemeinen
und über die Unterschiede beim Genuß von Tschaikowski und Christos
Kunst. Bei der Abstimmung im Bundestag am 25. Februar 1994 enthält sich
Schmidt der Stimme.
Volker Kauder und Johannes Gerster, die zu verstehen geben, daß sie das
Projekt unterstützen; besonders die Begeisterung von Johannes Gerster,
einem Freund des Kanzlers, macht Christo großen Mut. Gerster verspricht,
den Kanzler bei passender Gelegenheit anzusprechen.
Im Restaurant des Langen Eugen treffen sich die Christos u.a. mit CDU-MdB
Joachim Feilcke und dem CDU-MdB Hans-Peter Voigt. Außerdem gibt es eine
Projektdarstellung mit dem Gesprächskreis der CDU Kunst und Kultur (Leiter
Oskar Schneider), anwesend sind u.a. Sissy Geiger (dafür) und Heinrich
Lummer (vehement dagegen). Aus der CDU/CSU-Fraktionssitzung dringt die
Information, daß sich CSU-MdB Peter Ramsauer gegen das Projekt
ausgesprochen habe, daß er aber demonstrativ mit Schweigen
übergangen wurde.
23. Juni 1993:
Christo und Jeanne-Claude überreichen dem Bonner
Kunstmuseum die Reichstags-Collage, die lange im Büro Willy Brandts als
Leihgabe hing. Am Nachmittag gibt es Termine mit CDU-MdB Wolfgang Schulhoff,
CDU-MdB Klaus-Heiner Lehne, CDU-MdB Rainer Eppelmann, CDU-MdB und
-Schatzmeister Brigitte Baumeister und F.D.P.-MdB und Auslandsbeauftragte
Cornelia Schmalz-Jacobsen.
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Christo und Jeanne-Claude mit Klaus-Henning Rosen bei der
Überreichung einer Collage
"in memoriam Willy Brandt" an das Bonner Kunstmuseum, 23. Juni 1993
Foto: Wolfgang Volz
24. Juni 1993:
Die Christos führen Gespräche mit CDU-MdB Dr.
Rolf Olderog, Chef der CDU-Landesgruppe Schleswig, und geben ein Interview
für die Zeitschrift Max. Christo hält einen Vortrag vor
Schülern des Konrad-Adenauer-Gymnasiums in Bad Godesberg. Die einhellige
Begeisterung der Jugendlichen für die früheren Kunstwerke und
speziell für den verhüllten Reichstag ist sehr beeindruckend. Nach
einem Interview in Köln für den WDR reist er weiter nach Adelebsen,
dem Schloß von Gräfin und Graf Wolff-Metternich.
25. Juni 1993:
In Adelebsen führt die ganze Mannschaft einen Test
für das Verhüllungsmaterial durch. Mehrere große Stoffbahnen
aus Gewebe mit Metallisierung verschiedener Gradationen werden an einem
Nebengebäude hochgezogen und aus der Nähe und von fern unter
verschiedenen Lichtbedingungen beurteilt und fotografiert. Am Ende sind
Jeanne-Claude und Christo zufrieden. Damit ist man einen entscheidenden Schritt
weitergekommen - das optimale Gewebe ist gefunden. Das Christo-Team reist nach
Hamburg.
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Der erfolgreiche Test für das Verhüllungsmaterial,
Schloß Adelebsen, 25. Juli 1993
Foto: Wolfgang Volz
27. Juni 1993:
Die Christos treten die Heimreise nach New York an.
Als Ergebnis eines Frühjahres, das mit intensiver Lobby-Arbeit
gefüllt war, kann Christo mit ungefähr 70 Bundestagsabgeordneten
rechnen, die in der Öffentlichkeit zu sagen bereit sind, daß sie
für das Projekt eintreten. Wolfgang Volz legt eine Liste an. Am
wichtigsten sind dabei die Mitglieder des Präsidiums und des
ältestenrates.
3. Juli 1993:
Cullen und Volz erhalten den Auftrag, für die Zeit
nach der Sommerpause so viele Termine wie möglich zu vereinbaren.
14. Juli 1993:
Wolfgang Schäuble schreibt an Ludwig von Reiche,
daß er nach wie vor gegen das Projekt ist. Der Inhalt des Briefes ist im
wesentlichen der gleiche wie der seines Schreibens im Frühjahr, und er
geht nicht auf das Gespräch in seinem Büro am 21. Juni ein.
28. Juli 1993:
Der Chef der Senatskanzlei, Volker Kähne, schreibt,
daß der Senat, im Hinblick auf die Entscheidungskompetenz der
Präsidentin des Deutschen Bundestags als "Hausherrin"
davon abgesehen habe, eine Empfehlung abzugeben.
© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Text HTML-edited by Oskar Schirmer