

© 1995 by Christo & Luebbe Verlag
Chronologie des Reichstags-Projektes
April - Mai 1993

2. April 1993:
Daimler-Benz Chef Edzard Reuter hat das
Mitglied des Direktoriums mit Generalvollmacht, gleichzeitig Leiter
der Öffentlichkeitsarbeit Matthias Kleinert gebeten, mit Herrn
Schäuble zu sprechen, um dessen Meinung zu erfahren. Herr
Kleinert schreibt an Roland Specker, daß Wolfgang Schäuble
noch immer gegen das Projekt ist. Herr Reuter bleibt bei seiner
positiven Haltung.
19. April 1993:
CDU-MdB Wolfgang
Schulhoff schreibt an seine Parteifreunde und bittet um
Unterstützung für das Projekt. Christo beschließt,
sich während der Sitzungswochen immer in Bonn aufzuhalten. Die
nächste Sitzungswoche beginnt Anfang Mai.
21. April
1993:
CDU-MdB Claus-Peter Grotz schreibt an seine
Parteifreunde, daß er für das Projekt ist und bittet sie um
Unterstützung.
22. April 1993:
Die CDU-MdB
Klaus-Peter Grotz und Ronald Pofalla, Mitglieder einer "Jungen
Gruppe" im Bundestag, erklären zur Kunst und Kultur in
Deutschland, daß dies wichtige Bestandteile der deutschen
Identität seien. "Die Verhüllung des Reichstages, einem
die Dramatik und Tragik der neuesten deutschen Geschichte
wiederspiegelnden Gebäude, schafft die Chance, sich das
Gebäude als künftig permanenten Sitz des Deutsches
Bundestages neu anzueignen."

Christo und Klaus-Peter Grotz
Foto: Wolfgang Volz
23. April 1993:
Im FAZ-Magazin erscheint ein
satirischer Aufsatz von Siegfried Diehl mit dem Titel
"Hoftheater", in dem er versucht, das Reichstags-Projekt zu
verspotten.
24. April 1993:
Volz und Christo
korrespondieren: Wer aus der deutschen Politik kann bei der
Eröffnung der Christo-Ausstellung "Der Reichstag und urbane
Projekte" in Wien anwesend sein - offensichtlich ist signalisiert
worden, daß der ehemalige Bundestagspräsident und
nunmehrige
Botschafter Philipp Jenninger an eine Teilnahme nicht denkt.
28. April 1993:
Heribert Scharrenbroich spricht mit
Wolfgang Schäuble, der zusagt, sich in naher Zukunft nicht gegen
das Projekt zu äußern. Schäuble behauptet, er habe
schon vor langer Zeit mit Christo gesprochen, daran kann Christo sich
aber nicht erinnern.
29. April 1993:
Wolfgang und Sylvia
Volz treffen bei Heribert Scharrenbroich die MdB Lüder,
Schulhoff, Weisskirchen, Grotz, Evelin Fischer sowie Sabine
Saphörster. Es wird geplant, eine Zusammenkunft vieler
Abgeordnete im Restaurant des neuen Bundeshauses zu veranstalten, bei
der Tilmann Buddensieg sprechen soll. Es soll versucht werden, weitere
Termine mit Abgeordneten zu vereinbaren, vor allem mit den
Fraktionsvorsitzenden Schäuble und Solms.
30. April
1993:
Die Sekretärin von SPD-MdB Brigitte Schulte
schreibt: "Brigitte Schulte freut sich auf den Besuch von Christo
am 10. Mai 93 um 11.00 Uhr bei
uns im Atrium Zimmer 210."
7. Mai 1993:
Die
Christos sind Gäste der NDR-Talkshow Live in
Hamburg. Begegnung mit der ehemaligen Bundestagspräsidentin
Annemarie Renger und Gesundheitsminister Seehofer.
8. Mai
1993:
Frühstück im Hause von Volker Skierka;
anwesend ist u.a. Viktoria von Fleming vom NDR. Anschließend
sind die Christos Gäste bei Nikolaus und Annemarie Springer im
Schloß Wotersen.
9. Mai 1993:
Christo und
Jeanne-Claude werden von Frau Dr. Dana Horakowa bei Bild in
Hamburg interviewt. Mittagessen mit Freimut Duve. Das Christo-Team
trifft am späten Abend in Bonn ein und wohnt wieder in der
Berliner Landesvertretung. Es sind schon zehn Termine vereinbart.
10. Mai 1993:
Gespräch mit SPD-MdB Brigitte Schulte,
die das Projekt befürwortet. Termin mit
CSU-Bundestagsvizepräsidenten Hans Klein, der das Projekt nicht
mehr unterstützt ("politischer Selbstmord").
11. Mai 1993:
Ein geplantes gemeinsames Gespräch mit
den SPD-MdB Gerlinde Hämmerle und Dr. Peter Struck kommt nicht
zustande, dafür aber ein Gespräch mit SPD-MdB Gudrun Weyel,
die für das Projekt ist und mit dem neuen Leiter des Bonner
Kunstmuseums Prof. Dieter Ronte. Darüber hinaus werden
Gespräche mit Scharrenbroichs Büroleiter Karl Canzler und
der Mitarbeiterin im Bundestagspresseamt Sabine Saphörster
geführt.

Christo im Gespräch mit dem SPD-MdB
Gudrun Weyel, 11. Mai 1993.
Foto: Wolfgang Volz
12. Mai 1993:
Christo gibt ein Interview für
Marie Claire, hält einen Vortrag vor dem Deutschen
Industrie- und Handelstag und führt ein Gespräch mit SPD-MdB
Wolfgang Thierse (SPD-Parteivorstand, dafür). Ein wichtiger,
lange angestrebter Termin mit Jürgen Rüttgers,
Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im
Bundestag verläuft ziemlich negativ. Er gibt zu erkennen,
daß die Herren Schäuble und Kohl nicht für das Projekt
zu gewinnen sein werden. Er meint, die Mehrheit der Fraktion
hätte sich deutlich gegen das Projekt
ausgesprochen. Anschließend Treffen mit Friedbert Pflüger
(CDU-MdB), Befürworter von Anfang an.

Christo besucht SPD-MdB Wolfgang Thierse
in seinem Büro im
Hochhaus Tulpenfeld, 12. Mai 1993
Foto:
Wolfgang Volz
12. Mai 1993:
Highlight der Woche ist eine vom CDU-MdB Scharrenbroich und
anderen organisierte Abendgesellschaft im Bundestagsrestaurant, wo
Christo spricht und es viel Zustimmung gibt. Danach geht die
Christo-Mannschaft in Begleitung von CDU-MdB Renate Hellwig in die
Landesvertretung von Baden-Württemberg, wo sie die Bekanntschaft
von Landesgruppenchef Otto Hauser machte, der das Projekt vehement
ablehnt, aber auch
mit Volker Kauder, der das Projekt voll und aktiv
unterstützt. Von dort schließlich geht es in die
Parlamentarische Gesellschaft, wo Bekanntschaft mit SPD-MdB Dieter
Wiefelspütz, F.D.P.-MdB Detlef Kleinert sowie mit
Verkehrsminister Matthias Wissmann gemacht wird. Zu noch
späterer Stunde Abendessen im Restaurant "Zum
Gequetschten" in Bonn. Der gesamte Nebentisch zeigt großes
Interesse an der Unterhaltung. Beim Gehen kommt ein freundlicher Herr
vom Nebentisch mit dem
Team ins Gespräch, man albert etwas miteinander. Am
nächsten Tag stellt sich heraus, daß dies CSU-MdB Eduard
Lintner war, der da natürlich bereits von dem anstehenden Termin
gewußt hat.

Christo mit CDU-MdB Friedbert Pflüger, 12. Mai 1993
Foto: Wolfgang Volz
13. Mai 1993:
Schon früh am Morgen trifft das Christo-Team im Hotel
Bristol Matthias Kleinert von Daimler Benz, der Gespräche
führen will, um das Projekt voranzubringen. Um 10.00 Uhr wird in
der Bulgarischen Botschaft eine Ausstellung von Christo-Plakaten
gehängt. Christo und Jeanne-Claude treffen sich im Büro von
Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt mit ihr und SPD-MdB
Freimut Duve. Während Duve schon früher ein Befürworter
des Projektes war, hatte Renate Schmidt vor kurzem gesagt, daß
Deutschland andere, dringendere Probleme habe,; sie sei nicht für
das Projekt. Schließlich gelingt es Christo, auch sie auf seine
Seite zu bringen. Danach findet ein Gespräch mit
SPD-Bundestagsvizepräsidenten Helmut Becker statt, der noch im
April zitiert wurde: "Wenn der Bundestag für das Projekt
ist, bin ich dafür, wenn er dagegen ist, bin ich dagegen."
Jetzt gelingt es Christo, auch ihn zu überzeugen. Damit ist ein
wichtiger Etappensieg erreicht: Eine Mehrheit im
Bundestagspräsidium!

Christo hält einen Vortrag im Restaurant des Bundestags, 12. Mai 1993
Foto: Wolfgang Volz
Des weiteren ergaben Gespräche mit SPD-MdB Detlev von Larcher
sowie mit CSU-MdB und Staatssekretär im Innenministerium Eduard
Lintner, daß auch sie für das Projekt eintreten wollen.
Bei der Eröffnung einer Ausstellung seiner Plakate in der
bulgarischen Botschaft in Bad Godesberg kommen viele alte Freunde aus
der Umgebung, u.a. Dieter Rosenkranz, Peter und Veronika Nestler, Karl
und Elfriede Ruhrberg und Charles Wilp, um Christo die Daumen zu
drücken.

Entscheidendes Gespräch mit Bundestagsvizepräsidentin
Renate Schmidt in ihrem Büro im Bundestag am 13. Mai
1993.
Von links nach rechts: Renate Schmidt,
Michael Cullen, Freimut Duve, Christo, Jeanne-Claude
Foto:
Wolfgang Volz
14. Mai 1993:
Es geht weiter mit
Abgeordnetengesprächen, so mit CDU-MdB Arnulf Kriedner,
CDU-Generalsekretär Peter Hintze und F.D.P.-MdB Manfred
Richter. Die Ergebnisse sind durchweg positiv. Peter Hintze ermutigt
Christo, Wolfgang Schäuble brieflich um einen Termin zu
bitten.

Christo im
Gespräch mit Arnulf Kriedner, 14. Mai 1993.
Foto: Wolfgang Volz

Christo, Jeanne-Claude
und Michael Cullen bei dem
CDU-Generalsekretär Peter Hintze
(links), 14. Mai 1993.
Foto: Wolfgang
Volz
15. Mai 1993:
Die Christos
verlassen Bonn.
16. Mai 1993:
CDU-MdB Claus-Peter
Grotz schreibt an seine Parteifreunde unter dem Titel "Christos
Reichstags-Projekt - Symbol des Neubeginns": " Zuletzt war
der Reichstag nicht nur für die Deutschen,
sondern auch für die Osteuropäer ein Symbol der gewaltsamen
Teilung. ... Der Reichstag war aber auch jahrzehntelang
Symbol des demokratischen
Selbstbehauptungswillens. ... Das friedlich und
demokratisch wiedervereinigte Deutschland wird in wenigen Jahren den
Reichstag als ständigen Sitzungs- und Tagungsort des Deutschen
Bundestages nutzen. Bevor die Umbauten des Reichstages zum Bundestag
beginnen, liegt in der Verhüllung des Reichstags eine große
Chance, die tiefe Zäsur in der Geschichte der Deutschen deutlich zu
machen. In der Aktion des weltweit renommierten Künstlers
Christo, die dieser auch selber finanzieren wird, wird der Reichstag
auf seine Konturen, auf den Kern seiner Aufgabe als parlamentarischer
Ort zurückgeführt. So wird die Möglichkeit geschaffen,
sich das Reichstagsgebäude mit seiner wechselvollen Geschichte
>neu anzueignen<." Es wird vereinbart, daß David
Molner einen Artikel für das Lufthansa-Logbuch schreibt.
18. Mai 1993:
Durch Vermittlung von Armgard von Reden kommt ein Abend mit dem
Berliner Chef von IBM, Ludwig von Reiche, zustande. Als Termin wird
der 14. Juni vereinbart.
19. Mai 1993:
Friedbert
Pflüger berichtet Wolfgang Schäuble von Christos
Besuch.
24. Mai 1993:
Tilmann Buddensieg schreibt,
daß er glaubt, der Kanzler höre auf den
österreichischen Architekten Gustav Peichl. Es soll versucht
werden, herauszubekommen, ob Peichl a) das Reichstags-Projekt mag und
b) ggf. bereit wäre, mit Helmut Kohl darüber zu
reden. Gespräche mit Peichls Sohn in Berlin ergeben jedoch,
daß der Vater kein großer Freund des Projektes ist und
nicht viel Einfluß auf den Kanzler hat.
26. Mai
1993:
Cullen und Volz beraten, welche Parlamentarier noch
erreicht werden sollen. Einvernehmen besteht über die Mitglieder
des ältestenrats Johannes Ganz, Joachim Hörster, Dr. Franz
Möller, Eduard Oswald, Clemens Schwalbe, Karl-Heinz Spilker,
Gerlinde Hämmerle, Dr. Uwe Küster, Andrea Lederer, Werner
Schulz und über Politiker um Helmut Kohl wie Friedrich Bohl,
Anton Pfeifer und Bernd Schmidbauer, Angela Merkel, sowie um das
Berliner CDU-MdB Peter Kittelmann.
27. Mai 1993:
Christos Fragebogen in Die Woche.
© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Text HTML-edited by Oskar Schirmer